Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
Körpertemperatur und ich treibe vor mich hin und fühle ... fühle nichts. Keine Angst, keine Erwartungen, keine Meinungen, keine Augen, die mich beobachten. Unsichtbar. Die reine Zufriedenheit. Ich sehe eine ferne Gestalt, die am Strand auf mich zukommt. Erst denke ich, es ist Josie, und freue mich über den Anblick ihrer langen Beine, doch dann verwandelt sie sich in Rhoda. Und als die Gestalt sich nähert, wird sie größer und größer, viel zu groß. Sie ist mit schmutzigem Schorf bedeckt. Nicht menschlich.
Dann höre ich wieder dieses strangulierte, ertrinkende Elefantenmonster brüllen wie Tausend ungerechte Tode, zusammengeballt in diesem einen Klumpen Hass. Es nähert sich schnell. Ich versuche mich umzudrehen, doch eine Welle schlägt mich nieder, boxt mir den Atem aus der Luftröhre. Sie rollt über mich mit einem gewaltigen metallischen Knirschen wie Werkzeug, das in einem hausgroßen Häcksler zermalmt wird. Ich kann nicht atmen; ich ertrinke, aber in meinem letzten Augenblick bin ich dankbar, dass das Meer mich vor der Kreatur schützt.
Abrupt erwache ich, das Adrenalin überspringt die üblichen Formalitäten des Aufwachens. Wo bin ich? Wie konnte ich meine Vorsicht so schleifen lassen? Bereit zur Flucht, blicke ich mich um. Rhoda liegt zusammengerollt neben mir und wühlt sich gerade aus ihrem eigenen Schlaf. Erleichtert atme ich den Traum aus.
Diese grellen Korridore kommen mir immer noch ein wenig unwirklich vor. Als sei das alles nur ein Traum. Aber meine mit Dreck und was weiß ich verkrustete Jeans, die Blutergüsse und Schnitte an meinem Körper, Rhoda in ihrer Ecke der Nische, die sich gerade den Schlaf aus den Augen reibt – das alles erzählt eine andere Geschichte. Unwillkürlich muss ich daran denken, wie ich Rhoda gestern Nacht in der Damentoilette oben ohne gesehen habe.
»Was glotzt du so?«, schnauzt Rhoda. Das ist wahrscheinlich ihre Version eines freundlichen und fröhlichen ›Guten Morgen‹.
»Gibt nicht viel, was man hier anglotzen kann. Entweder die hässlichen Absperrgitter oder dich. Von den Gittern habe ich mittlerweile genug.«
»Arschloch«, brummt sie. Ihre Version eines Lachens, wie ich annehme. »He, Dan. Hörst du das? Die Rolltreppe läuft!«
Gott sei Dank. Das Tor, welches das obere Ende der Rolltreppe blockiert hat, ist hochgezogen worden. Das bedeutet, das Einkaufszentrum ist geöffnet und wir können nach Hause. Rhoda läuft die Rolltreppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal. Sie schwingt ihren Körper um die Ecke und stürmt die nächste Etage hinauf. Als ich sie einhole, steht sie im Mittelgeschoss. Meinem Geschoss.
Die Rolltreppen enden hier, dadurch sind die Kunden gezwungen, das ganze Geschoss zu durchqueren, um zur nächsten Etage zu gelangen. Architekten, die Einkaufszentren entwerfen, haben eindeutig ihren Abschluss auf der Satan-jagt-Ratten-durch-perverse-Labyrinthe-Akademie gemacht. Es ist äußerst beruhigend, zur Abwechslung einmal genau zu wissen, wohin man geht. »Willst du wirklich raus?«, frage ich. »Nicht vorher noch einen kleinen Schaufensterbummel machen? Die Sonderangebote abchecken? Brunchen?«
»Sehr lustig. Haha. Lass uns endlich gehen. Oh Mann, was freue ich mich darauf, den Himmel zu sehen.«
Rhoda eilt voran, folgt den Schildern zum Haupteingang, vorbei an Läden, die schon beleuchtet, deren Türen aber noch verschlossen sind. Ich will auf meinem Handy nach der Uhrzeit sehen, aber es ist tot. Natürlich. Kondenswassertröpfchen bedecken die Innenseite der Displayscheibe. Das Telefon klappert, wenn ich es schüttle. Aber an der erwartungsvollen Atmosphäre des Einkaufszentrums erkenne ich, dass es ungefähr halb neun sein muss.
»Scheiße!«, flucht Rhoda, als wir den Haupteingang erreichen. Er ist immer noch verschlossen. Sie tritt gegen die Metalltür und der Lärm hallt durch die Marmorpassagen. Auch ich rüttle am Gitter, aber mehr, um Rhoda meine Entschlossenheit zu beweisen als in Erwartung eines Ergebnisses.
»He!«, ruft jemand von oben. Ein grotesker Mann mit dicken, violetten Wangen beugt sich über das Geländer des Zwischengeschosses. Er trägt eine prunkvolle Admiralsuniform mit Goldlitzen, Medaillen, Mütze und allem Drum und Dran, aber die ganze Aufmachung hat diesen billigen, übertrieben gebügelten Glanz, der deutlich ›Wachmann‹ herausposaunt.
Mein Gott, da zahlen sie diesen armen Schweinen einen Hungerlohn und dann zwingen sie sie auch noch dazu, sich wie Clowns zu verkleiden, damit es zum Motto des
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