Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
hat er vom gröbsten Dreck befreit.
»Gehen wir zur Rolltreppe«, schlage ich vor.
»Okay.« Er weicht noch immer meinem Blick aus.
»Dan. Es ist okay, ja? Entspann dich. Keine große Sache.«
Er nickt.
»Ich meine, es ist ja nicht so, dass es da viel zu sehen gibt, oder?«
Diesmal blickt er mir in die Augen. »Ich bin noch ... also ...« Sein Magen knurrt, und wir lächeln uns an. Der peinliche Moment verfliegt.
»Dito«, sage ich. »Ich bin auch am Verhungern.«
»Wie lange sind wir jetzt hier?«
»Keine Ahnung.« Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Aber es können doch sicher nicht mehr als 24 Stunden sein, oder?
In der Mitte der Passage steht einer dieser typischen Einkaufszentrum-Mülleimer, die so tun, als ob sie etwas ganz anderes sind. Ich klappe den Deckel hoch und wühle darin herum.
»Was machst du da?«, rümpft Dan die Nase.
»Ich dachte, du hast Hunger?«
»Ja, aber ...«
»In der Not frisst der Teufel Fliegen.«
Es ist nicht viel drin, nur eine zusammengeknüllte Zeitung, eine leere Getränkedose und ein Haufen dieser Styroporchips, die man zum Verpacken zerbrechlicher Gegenstände benutzt. Ich wühle noch etwas tiefer und bringe ein halb aufgegessenes Baguette mit Käse und Mayo zum Vorschein. Bingo! Als sei es extra für uns weggeworfen worden. Ich schnuppere daran. »Scheint noch in Ordnung zu sein.«
Ich schäle es aus der Plastikfolie, breche es in der Mitte durch und biete Dan ein Stück an. Meine Einkaufsmethoden mögen ihm nicht gefallen, aber er zögert keine Sekunde, es mir aus der Hand zu reißen. Wir essen, während wir zu den Rolltreppen zurückgehen, und brauchen keine halbe Minute, um alles zu verputzen. Mein Magen fleht nach mehr. Jetzt, wo ich etwas gegessen habe, ist mein Hunger stärker als vorher.
»Nicht schlecht, oder?«, frage ich.
»Nee. Das erste Mal, dass ich so was gegessen habe ... du weißt schon ...«
»Müllkost?«
»Ist das die korrekte Bezeichnung?«
»Klar. Ich bin ein echter Scheißfraß-Gourmet.«
Er sieht aus, als ob er über eine schlagfertige Antwort nachdenkt, aber er ist eindeutig zu erledigt dafür. Genau wie ich.
Wir laufen zwischen den Rolltreppen hindurch und setzen uns nebeneinander in eine kleine Wandnische, die sogar recht gemütlich ist. Eigentlich kein schlechtes Versteck, und ich muss mir ins Gedächtnis rufen, dass wir diesmal tatsächlich gefunden werden wollen. Ich strecke die Beine aus und entspanne mich endlich ein bisschen. Allmählich lässt die wühlende Angst in meinem Magen nach. Es ist vorbei. Wir sind gerettet.
Dan gähnt. »Was wirst du als Erstes tun, wenn du nach Hause kommst?«
»Ich habe kein Zuhause.«
»Wenn du hier rauskommst, meine ich.«
»Duschen, versuchen, nicht verhaftet zu werden, dafür sorgen, dass der Junge gefunden wird.«
»In der Reihenfolge?«
»Natürlich. Und du?«
Er lehnt den Kopf an die Wand hinter sich. »Doppelter Big Mac mit Käse. Dann ein Besuch bei einem Psychologen.«
»Im Ernst?«
»Nein. Ich hasse McDonald’s.«
Es ist ein lahmer Witz, aber wir geben uns trotzdem beide Mühe, darüber zu schmunzeln.
»Wie willst du den Bullen erklären, was passiert ist?«, fragt er.
»Keine Ahnung.«
»Denn zur Polizei müssen wir, das ist dir doch klar, oder?«
»Was versuchst du mir zu sagen, Dan?«
»Ich meine nur ... vielleicht willst du das nicht, weil ...«
»Weil ich eine Kriminelle bin?«
»Nein ...« Er schweigt. »Na ja ... doch.«
»Dan, ich habe nur ein bisschen Koks gekauft, das ist keine große Sache. Außerdem – wer immer uns hier so verarscht hat, muss unbedingt aufgehalten werden, bevor wirklich jemand dabei draufgeht.«
Ich kann mir gut das Gespräch mit den Bullen vorstellen: Ja, Officer, die Sache ging immer mehr den Bach runter, nachdem ich den Jungen allein gelassen habe, um Drogen zu kaufen, Dan mit vorgehaltenem Messer entführt habe und dann einem Maden spuckenden Monster über den Weg gelaufen bin. Das wird wohl nicht besonders gut ankommen. Aber eins ist sicher: Ich kann nicht länger davonlaufen.
Es gibt nichts, wohin ich laufen kann.
Aber es gibt trotzdem Alternativen.
»Hör mal, Dan, ich weiß, du kennst mich nicht besonders gut, aber könnte ich eine Nacht bei dir pennen? Geht das?«
Er antwortet nicht. Sein Kopf lehnt an der Wand, seine Hände liegen schlaff in seinem Schoß. An seinem gleichmäßigen Atmen erkenne ich, dass er tief schläft.
Kapitel 12: DANIEL
Ich plansche im Meer. Das Wetter ist perfekt, das Wasser hat
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