Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)

kann mich nicht mal mehr an sein Gesicht erinnern. Aber er war kein übler Bursche. Fragte sofort nach meiner Narbe, als Zinzi uns miteinander bekannt machte. Das hat mir gefallen. Die meisten Leute starren entweder hin und sagen nichts oder sie tun so, als ob sie gar nicht da ist. Und er fand die Idee eines nächtlichen Ausflugs zum Einkaufszentrum mächtig aufregend. Ich hätte ihn doch im Computerspieleladen stöbern lassen sollen – das war einer der ersten Läden, als wir aus dem Parkhaus gekommen sind! Und der Zugang zum Parkdeck befand sich eine Etage über Dan Blödmanns Buchladen, oder?
    Das ist einfach.
    Also laufe ich wieder zurück. Als ich am Telefonladen vorbeikomme, zögere ich kurz. Soll ich reingehen? Dan sagen, was ich von ihm halte? Ach was, Zeitverschwendung. Ich habe seine Handynummer, falls ich seine Hilfe brauche, sollten die Bullen unangenehme Fragen stellen. Die Tür ist verschlossen und drinnen kann ich keine Bewegung erkennen. Dan ist bestimmt schon weg. Wahrscheinlich schon auf dem Weg nach Hause zu Mamis Sofa und einem Teller Bohnen mit Toast. Und er hat sich längst erfolgreich eingeredet, dass alles, was wir erlebt haben, nur eine interessante Nebenwirkung seiner Scheiß-Antidepressiva gewesen ist.
    Ich wende mich vom Fenster ab und stoße mit etwas Schwammigem, aber Unnachgiebigem zusammen. Ich drehe mich um und ...
    Heilige Scheiße.
    Ich stehe der fettesten Frau gegenüber, die ich jemals gesehen habe. Sie ist in ein gigantisches Blümchenkleid gehüllt, aber die gewaltigen Tranwülste wabbeln deutlich sichtbar darunter, und dicke Speckrollen verschlucken ihre Füße und Schuhe. Ihre Augen verschwinden fast vollständig in dem Pudding aus Fleisch, der ihr Gesicht bedeckt. Ihre Haut ist so weiß und durchscheinend, dass ich jede blaue Ader sehen kann, die unter der schwabbeligen Oberfläche um Sauerstoff ringt.
    Das ist nicht normal . Bei dem Körpervolumen sollte sie gar nicht in der Lage sein zu stehen, geschweige denn zu gehen.
    Ich öffne den Mund, um mich für das Anrempeln zu entschuldigen, aber die Worte bleiben mir in der Kehle stecken. Sie stinkt. Wahrscheinlich sogar noch schlimmer als ich. Ich rieche noch immer nach dieser widerlichen Blümchenseife, aber von ihrem Körper geht ein ekelhaft fischiger Gestank aus. Sie lächelt mich an. Schlechte Zahnpflege. Sehr schlechte. Ihre Zähne sind nur noch schwarze Stummel. Aber sie sieht mich an, als sei ich ihre neue beste Freundin oder so was.
    Wenn sie mich anspricht, schreie ich.
    Mit pochendem Herzen und kraftlosen, gummiartigen Beinen weiche ich von ihr zurück und renne zur Rolltreppe, die ich, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, hinaufhaste. Ich schaue mich nach dem unheimlichen Kerl in seinem Admiralskostüm um, aber er ist nirgends zu finden. Der Ausgang am Ende der Passage ist nach wie vor fest verriegelt. Heißt das, dass die Tür zum Parkdeck ebenfalls verschlossen ist? Und wenn ich mich geirrt habe? Wenn der Computerladen nicht da ist, wo ich ihn vermute?
    Eilig gehe ich die nach links führende Passage entlang und bete, dass es die richtige Richtung ist. Allmählich gerate ich in Panik und die Luft fühlt sich plötzlich zu dünn zum Atmen an.
    Beruhige dich, verdammt!
    Dann sehe ich ihn.
    Gott sei Dank!
    Es ist definitiv der Laden, in den der Junge unbedingt hineinwollte, obwohl ich mich nicht erinnern kann, dass er Zeitfresser hieß. Wer auch immer sich diesen Namen ausgedacht hat, gehört schnellstens gefeuert. Die Rollläden sind hochgezogen, und als ich näher komme, kann ich die Umrisse der Lara-Croft-Pappfigur im Fenster ausmachen. Aber etwas an ihr ist anders. Lara Crofts volllippiges Lächeln ist einem traumatisierten, geschockten Gesichtsausdruck gewichen, über ihrem linken Auge leuchtet ein Bluterguss, ihr langes Haar scheint mit Blut verklebt zu sein. Die Oberschenkel in den viel zu kurzen Shorts haben schwer mit Celluliten zu kämpfen, und ihre BH-losen Brüste sind deutlich abgeschlafft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich allzu viele pubertierende Jungs über dieser Version einen runterholen. Soll das irgendein abgefahrener Insiderwitz sein?
    Was glaubst du?
    Der Fußboden scheint zu kippen, als mich ein Schwindelgefühl erfasst. Ich gehe in die Hocke und hole tief und zitternd Atem. Ich zähle bis zehn.
    Was ist los mit mir? Schnappe ich jetzt endgültig über?
    Nur zu niedriger Blutzucker. Ganz ruhig.
    Ich höre das raue Kratzen von Metall, als sich die Rollgitter vor den Fenstern des