Labyrinth der Spiegel
aus, die meine Arbeit beobachtet.
Aus meiner rechten Tasche hole ich ein Döschen und öffne es. Auf dem weichen Futter bewegt sich etwas: Eine funkelnde smaragdgrüne Wanze wackelt mit den Beinchen. Ich nehme sie in die Hand, doch sie befreit sich energisch und stürzt sich auf meinen eigenen Kanal. So haben wir nicht gewettet, Freundchen! Du hast ein anderes Ziel!
Ich setze das Insekt vor dem Thron ab, wo es sogleich mit dem Kopf ruckt, um sich dann in den orangefarbenen Faden zu fressen.
Jetzt können wir nur warten und hoffen, dass der Rechner des Imperators lediglich über die gängigen Antiviren-Programme verfügt.
»Hallo?«
Im ersten Moment halte ich es für die Stimme vom Loser. Sie ist genauso gleichmäßig und ohne Gefühle. Als ich mich jedoch umdrehe, sehe ich, dass wir inzwischen zu viert im Saal sind – sofern man den Imperator überhaupt als vollwertigen Partizipanten einstufen kann.
Aus dem Loch in der Decke baumelt ein funkelnder weißer Faden, an dessen Ende eine lange, sich in Schmerzen
windende Figur hängt. Ihre Konturen sind verschwommen, die Bewegungen abgehackt und planlos. Der Mann dreht zwar den Kopf in die eine und in die andere Richtung, aber ich glaube nicht, dass er sieht, was um ihn herum passiert. Wo kommt der denn her? Und wie hat er den Sturz durch den Tunnel überlebt? Der Warlock hat ganze Arbeit geleistet, ohne Frage!
»Was hast du denn hier verloren, du Hampelmann?!«, blaffe ich so aggressiv wie möglich. Wenn der Unbekannte ein simpler User ist, kann er mir nicht in die Quere kommen.
Aber unserem Gast will meine Reaktion so gar nicht gefallen. Er streckt beide Arme aus – und ein elastisches funkelndes Kabel schießt auf mich zu. Genauer gesagt, nicht auf mich, sondern auf meinen Verbindungskanal.
Gleich lach ich mich kaputt! So was könntest du dir nie im Leben ausdenken: Da willst du einen mysteriösen Mister X aus dem Labyrinth rausholen, hast unterwegs die Idee, irgendeinen Idioten mit Deep-Psychiose zu retten, und triffst dann auf einen Hacker mit einer netten Auswahl an Programmen im Gepäck.
Ich kann von Glück sagen, dass sein Kanal ziemlich eng und deshalb kurz vorm Abnippeln ist. Ich krame meine Handschuhe heraus, streife sie über, fange das Kabel ab und verknote es. »Verpiss dich!«, empfehle ich dem Eindringling. »Ich bin ein Diver!«
Normalerweise funktioniert das tadellos. Dieser Gast hält sich jedoch entweder für den coolsten Typen in der gesamten Tiefe oder er glaubt mir nicht.
»Und wenn du Geppetto wärst!«, antwortet er. Die zweite Peitsche ist schneller und wendiger. An ihrem Ende klimpern kleine Klammern. Ich erwische sie erst kurz vorm Kanal und presse sie genüsslich zusammen. Die Handschuhe würgen das Programm ohne Probleme ab.
Am liebsten würde ich das Gleiche auch mit meinem Hackerfreund machen, doch mit den Handschuhen halte ich ihn nicht auf, und den Warlock will ich gegen ihn nicht einsetzen, dazu ist das Virus viel zu stark.
Inzwischen umrundet der Loser, der jedes Interesse an mir verloren hat, den Hacker. Der bemerkt ihn nicht, anscheinend greift er ebenfalls auf einen Scanner zurück und behält einzig und allein die Verbindungskanäle im Blick.
»Was willst du?«, frage ich. »Du störst mich bei der Arbeit!«
»Du mich auch.«
Die hölzerne Stimme meines Gegenübers bringt mich zur Weißglut. Dabei grenzt es im Grunde geradezu an ein Wunder, dass ich ihn überhaupt höre, so eng wie sein Kanal ist. Die Figur bewegt sich immer abgehackter, jetzt fällt ihm der Kopf auf die Seite, und die Nase rutscht zur Wange, während die Arme länger und länger werden. Ein völlig bescheuerter Anblick – der dazu führt, dass meine Wut verpufft.
»Hör mal, du Mistkerl … Dich muss bestimmt auch mal jemand aus dem virtuellen Raum abschleppen! Also zieh Leine! Der Newbie hier kratzt mir sonst ab!«
Endlich begreift der Typ, dass das hier kein Spaß ist. Er hört auf, meinen Kanal anzugreifen, zieht so was wie eine
Taschenlampe heraus und leuchtet damit den Imperator an. Das muss eine Art semiaktives Scanprogramm sein. Von mir aus! Soll er ruhig zugucken, meine Methoden sind kein Geheimnis.
»Das System des Abonnenten ist unter unserer Kontrolle«, teilt mir Windows Home im Flüsterton mit.
Du weißt nie, wie das Innenleben eines fremden Rechners aussieht, solange du ihn nur aus der Tiefe betrachtest. Deshalb wähle ich den simpelsten Weg. Ich gebe dem Newbie einen Schubs, der rutscht vom Thron und landet ausgesprochen
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