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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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auf, das an die Turbinen einer startenden Boeing erinnert. Dieses Heulen wird beinahe von einem Schrei erstickt. Flammenzungen schießen über die Holztür.
    »Was ist mit dir, Magier?«

    Der Computermagier lächelt und holt aus seiner Tasche etwas heraus, das noch am ehesten wie ein Hühnerei aussieht. »Ich habe das hier.«
    »Was ist das?«
    »Das werdet ihr schon sehen«, verspricht der Magier.
    Vika und der Loser hängen sich gleichzeitig an meine Schultern, so dass ich sie gar nicht erst dazu auffordern muss. Ich schwinge ein Bein übers Fensterbrett und stelle den Fuß in der Luft auf.
    Und die Luft hält uns.
    Der Wind schlägt mir in die Seite, weit unter mir tost der Fluss. Mir wird schwindlig. Ich muss raus, raus aus der Tiefe .
    Nur … ich will Vikas Gesicht nicht in bunten quadratischen Pixeln sehen.
    Mein erster Plan war, auf den Pfad hinunterzuschweben, aber jetzt wird mir klar, dass das überhaupt nichts bringen würde, denn der ist von Geröll versperrt. Dieses verfluchte Erdbeben!
    Deshalb stapfe ich in der Luft über die Schlucht und den tosenden Bergfluss zur gegenüberliegenden Seite, die dicht mit Bäumen bewachsen ist.
    »Ich habe sogar in Flugzeugen Angst«, haucht Vika. Mit einiger Anstrengung reiße ich den Blick von dem Abgrund unter mir los, um sie anzusehen. »Halte durch, Süße!«
    »Bist du … aufgetaucht?«
    »Nein!«
    Sie schließt kurz die Augen. »Ljonja, tauch auf!«, verlangt sie. »Quäle dich doch nicht so!«

    Das könnte dir so passen! Aber ich bin aus anderem Lehm!
    »Gute Reise, Freunde!«, schreit der Magier uns nach. Wahrscheinlich lehnt er sich gerade aus dem Fenster.
    »Gute Reise!«, empört sich Vika. »Ihr Männer, ihr seid doch alle gleich!«
    »Vikotschka, ich schicke dir tausend und einen halben Kuss!«, ruft der Magier weiter.
    Jetzt bin ich über seine Geschwätzigkeit ganz froh.
    Ich werfe einen Blick nach links. Im Gesicht des Losers tut sich etwas. Er sieht mit kindlicher freudiger Neugier in den Abgrund unter uns. Er hätte sich die geflügelten Latschen anziehen sollen!
     
    Warum hat Vika sich eigentlich so klein gemacht und Sigsgaard über den grünen Klee gelobt? Ihr virtueller Raum ist nicht schlechter als seiner.
    Vielleicht sogar realer.
    Die Kiefernzweige peitschen mir ins Gesicht, vor meinen Augen schimmert ein violetter Zapfen auf. In dem Moment bin ich überzeugt davon, dass es in der Natur auch solche Dinger gibt.
    Indem ich eine Spirale um eine Kiefer beschreibe, setze ich zur Landung an. Die kleine Berghütte haben wir auf der anderen Seite der Schlucht gelassen, der Magier guckt längst nicht mehr zum Fenster raus.
    »Ljonka«, flüstert Vika, als uns nur noch anderthalb Meter von der Erde trennen. Sie breitet die Arme aus. Das war ein Fehler. Sie springt zwar einigermaßen gut ab, aber der Loser und ich verlieren dadurch die Balance. Ich
kippe auf die linke Seite, strample krampfhaft in der Luft herum, kann uns aber nicht mehr halten.
    Toll!
    Bin ich heute nicht schon oft genug gestürzt? Noch dazu in diesem chinesischen Sensoranzug, der einen Schlag nur geringfügig abmildert?
    Ich streife die Latschen ab, steh auf, ringe nach Luft und reibe mir die Seite, auf der ich aufgeschlagen bin. Der Loser hockt sich stöhnend hin.
    Vika sieht uns verlegen an. »Tut es sehr weh?«
    »Nein, alles bestens!«, knurre ich und helfe dem Loser hoch. Auf der einen Seite ragt dichter grüner Wald auf, auf der anderen liegt fünf Meter von uns entfernt eine Schlucht. Das Tosen des Wasser übertönt das Knirschen der Kiefernnadeln, über die wir laufen. Wie angenehm es doch ist, festen Boden unter den Füßen zu haben.
    »Ljonja …«
    »Wir haben es ja geschafft«, falle ich ihr ins Wort. Erst jetzt mache ich mir klar, was sie in ihrer Höhenangst durchgestanden hat. Ich selbst hatte ja in der Tiefe auch nicht über die Brücke in Al Kabar gehen können.
    Und wir haben es wirklich geschafft! Wir sind aus dem Bordell entkommen. Wir sind nicht mehr in dem virtuellen Raum, den die Schergen des Mannes Ohne Gesicht angreifen. Um uns herum sind jene Berge, die Vika zu ihrem eigenen Vergnügen geschaffen hat. Berge, in denen nie zuvor ein Menschen gewesen ist. Ein Raum im Raum, eine geheime Welt, die nach eigenen Gesetzen
lebt. Und nur durch Vikas Berghütte gelangt man in diese Welt.
    Da schlägt eine dicke orange-schwarze Flamme aus dem Fenster der Hütte. Die Balken der Wände gehen sofort in grelles Feuer auf.
    Das werdet ihr schon sehen, hat der Magier

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