Labyrinth der Spiegel
gesagt. Und er hat Recht behalten, die Wirkung dieser Datenbombe ist kaum zu übersehen. Vor unseren Augen verbrennt gerade der einzige Ausgang in die normale Tiefe .
»Ich hoffe, du steckst da mitten drin … du Mann Ohne Gesicht«, gifte ich.
»Was hat er dir für den Loser angeboten?«, will Vika wissen.
Ich linse zu demjenigen hinüber, der nicht zum Objekt eines Handels geworden ist. »Den Orden der Allmächtigkeit«, antworte ich.
»Was?«
»Hast du etwa noch nie davon gehört? Dibenko hat ihn bekommen, als er die Tiefe geschaffen hat. Er gibt dir das Recht, im virtuellen Raum jede x-beliebige Handlung vorzunehmen.«
Vika grinst.
»Das ist mehr als alles Geld«, fahre ich fort. »Das ist ein Ablassbrief für alle Sünden.«
»Dann bist du übers Ohr gehauen worden, Ljonja.«
»Warum?«
»Ljonja, der Orden der Allmächtigkeit ist gerade deshalb so einmalig, weil es davon nur ein Exemplar gibt. Jede Kopie gilt als Fälschung und wird eingestampft. Ich
weiß das, weil ich … weil ich mal mit einem Typen zusammen war, der so eine Kopie machen wollte.«
Das Komischste ist, dass ich mich nicht mal ansatzweise darüber wundere. Ich zwinkere nur dem Loser zu und sage: »Du bist wirklich ein hohes Tier«, bemerke ich. »Wenn sogar Dimka Dibenko seinen größten Schatz für deinen Kopf herausrückt.«
»Nein, kein hohes Tier.« Der Loser schüttelt den Kopf. »Ich bin noch viel wichtiger.«
VIERTER TEIL
Die Tiefe
00
Von den Sachen, die Vika aus dem Fenster geworfen hat, sind wie zum Spott auf sämtliche Gesetze der Physik nur ein Glas mit Marmelade und ein Päckchen Cracker ganz geblieben. Der Rest ist in der Schlucht gelandet oder auf Felsen zerschlagen. Meiner Ansicht nach ist Proviant zwar völlig überflüssig, trotzdem nehmen wir beides mit.
Wahrscheinlich zollen wir damit unserm sonst so trägen Bewusstsein Tribut: Denn der Verstand entwickelt plötzlich eine panische Angst zu verhungern, sobald man sich in der wilden Natur befindet.
»Hast du einen Plan?«, frage ich Vika.
»Wieso sollte ich den haben? Du hast doch vorgeschlagen, durchs Fenster zu fliehen«, hält sie völlig zu Recht dagegen.
»Es gab ja wohl keinen anderen Ausweg.«
»Doch. Du bist schließlich Diver.«
»Und er?« Ich nicke in Richtung des Losers. »Was wäre dann aus ihm geworden?«
Es hat nur eine Stunde gedauert, da hängt Vika diese Frage schon zum Hals raus. Wir setzen uns ins weiche
Gras, in den Schatten der Bäume. Über der ausgebrannten Hütte quillt noch immer weißer Rauch auf.
Schweigend sehen wir den Loser an. Der stapft über den Hang, betatscht die Kiefern, sammelt ihre Nadeln sowie Steine von der Erde auf. Ein Städter, der zum ersten Mal in die Natur kommt. Ein Gefangener, der aus dem Château d’If hat entfliehen können.
»Leonid, ich habe vielleicht etwas zu enthusiastisch von einem intelligenten Computer gesprochen«, räumt Vika ein. »Aber der Loser ist ein Mensch. Ein ganz normaler Mensch, der dich allerdings völlig kirremacht.«
4»Er ist seit drei Tagen in der Tiefe .«
»Dann nimmt er entweder Aufputschmittel. Oder er ist ebenfalls ein Diver.«
»Es sieht so aus, als habe er überhaupt keinen Verbindungskanal.«
»Der ist nur gut getarnt.«
»Zwei große Konzerne und Dibenko sind hinter ihm her.«
»An Idioten hat es noch nie gemangelt.«
Ockhams Rasiermesser ist schon eine feine Sache. Es kappt jede Mystik. Samt Fleisch.
»Vika, du bist Psychologin … Gibt es Tests, um festzustellen, ob jemand ein Mensch ist?«
»Nein, natürlich nicht.« Sie kichert leise. »Dazu bestand bisher keine Notwendigkeit.«
»Ich habe mal in einem Science-Fiction-Roman von einem solchen Test gelesen …«
»Du glaubst doch nicht etwa, dass das, was sich ein Schriftsteller bei einer Tasse Kaffee ausgedacht hat, in der Realität funktioniert?«
»Wir könnten es doch zumindest probieren«, beharre ich. »Schließlich gibt es auch Institute, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigen. Die müssen doch entsprechende Tests haben. Überhaupt denkt sich immer wieder jemand, der fest an diese Sache glaubt, solche Tests aus. Für den Fall der Fälle. Pass auf, ich verlasse die Tiefe kurz und recherchiere das im Internet.«
»Und wie kommst du zurück? In diesen Raum gibt es keinen Zugang mehr.« Vika lacht bitter. »Ich fürchte sogar, er ist unwiderruflich vernichtet. Diese Berge werden nur noch als geschlossenes System auf einem Rechner weiterleben.«
»Ein guter Hacker wird mir schon Zugang
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