Labyrinth der Spiegel
mir die Sprache. Okay, das ging mich nichts an, aber …
»In Goromir steckt eine Frau«, erklärte Maniac. »Bei denen geht es drunter und drüber, Frauen schlüpfen oft in Männerrollen und umgekehrt. Ich war ein halbes Jahr hinter Goromir her …«
»Und dann?«
»Nichts. Goromir hat sich mit Dianel eingelassen.«
Ich verkniff mir die Frage, wer Dianel in Wirklichkeit war, ein Mann oder eine Frau.
»Wenn du Goromir triffst, richte Grüße von Ariel aus«, bat Schurka noch. »Wir sind Freunde geblieben. Leider nicht mehr.«
»Ich muss zu dem Server, über den die Stadt Lórien läuft, in der Legolas herrscht. Treibt sich dein Goromir da rum?«
»Nicht dein , sondern deine !«, fuhr mich Schurka an. »Keine Ahnung, ich bin schon lange nicht mehr bei den Rollenspielern gewesen. Na komm, suchen wir erst mal den Server.«
Er startete Windows Home und durchforstete übers Terminalfenster die Server. Fünf Minuten später hatte er einen Treffer gelandet.
»Da! ›Der edle Legolas ruft die weisen Elben, die kühnen Menschen und die flinken Hobbits in die ruhmvolle Stadt Lórien, da die Tage der letzten Schlacht zwischen
den Kräften des Guten und den Orks und Zwergen angebrochen sind!‹ Man wird dich mit offenen Armen empfangen!«
»Das ist nun auch nicht gerade nötig.«
»Wie wär’s dann stattdessen mit einem Bierchen? Du hast noch anderthalb Stunden!«
Bier auf Kognak? Aber ich hatte wirklich noch massenhaft Zeit, weil ich mit Schuras Hilfe den Avatar ziemlich schnell designt hatte.
»Okay«, ließ ich mich breitschlagen.
101
Ich schloss die Tür hinter Schurka ab und legte sehr sorgfältig die Kette vor. Ein Blick in die Küche überzeugte mich, dass das Gas ausgeschaltet war.
Den Alkohol spürte ich eigentlich nicht. Vier Flaschen Bier, das war doch gar nichts. Und den einen Kognak durfte ich ja wohl erst recht außer Acht lassen.
Auf dem Weg zu meiner Kiste stolperte ich ständig über irgendwelche Kabel, alte Hausschuhe und Bücher, die aus den Regalen gefallen waren. Ob Schurka vielleicht das Gleichgewicht verloren und an einem Regal Halt gesucht hatte? Aber weshalb hätte ihm das passieren sollen?
»Vika, habe ich Post?«, fragte ich.
»Ich habe dich nicht verstanden, Leonid.«
»Ob ich Post habe?«, wiederholte ich langsam.
»Ja.«
Waren zwei Liter dunklen Biers, die ich im Eiltempo in mich reingekippt hatte, vielleicht doch nicht so wenig? Wenn Vika meine Stimme nicht mehr erkannte, dann …
Ich schluckte den Anflug von Reue hinunter und checkte die Mails.
Bloß Mist.
Mal sehen, was das Pinboard brachte.
Natürlich kannte keiner meiner Auftraggeber meine echte Adresse. Wenn jemand mit dem Diver Leonid Kontakt aufnehmen wollte, dann gab es nur einen Weg: Er musste eine Nachricht am Schwarzen Brett hinterlassen. Ein Code erlaubte es, die richtigen Depeschen zu finden, Chiffres nahmen Lamern die Möglichkeit, fremde Mitteilungen zu fälschen, und die nebulösen Formulierungen selbst begriff nur der Adressat. Komplette Anonymität und Zuverlässigkeit. Da sollte mal jemand versuchen, zwischen all dem Liebesgeplänkel, leeren Geschwätz und den Verkaufsangeboten eine geheime Nachricht herauszufischen.
Am Pinboard entdeckte ich nicht oft etwas für mich. Aber heute gab es gleich zwei Nachrichten.
Iwan! Ich warte heute Mittag auf dich, da, wo wir uns letztes Mal getrennt haben. Der Graue.
Das war Romka. »Getrennt« hatten wir uns letztes Mal in den Drei kleinen Schweinchen .
Unversehens wurde ich nüchtern. Wieso suchte Romka mich? Noch dazu so dringend? Die Mail hatte er letzte Nacht geschrieben. Aus eigener Initiative? Oder weil jemand ihn gezwungen hatte? Der Mann Ohne Gesicht zum Beispiel?
Mit der zweiten Nachricht hatte ich gerechnet.
77. Üblicher Ort, alles wie gehabt. Die Brüder.
77 – das war meine Nummer. Die anderen Diver waren stinkwütend auf mich …
Unser Kodex hatte verlangt, dass ich Crazy Tosser und Anatole meinen Divernamen nannte (der übrigens auch mein richtiger war).
Unser Kodex hatte ferner verlangt, dass sie sich über mich beschwerten. Ich war in ihr Arbeitsgebiet vorgedrungen und hatte von einer Waffe Gebrauch gemacht.
Dergleichen wird nicht verziehen.
»Loser, Loser«, murmelte ich. »Verdammte Scheiße aber auch! Mit dir habe ich mir echt was eingebrockt!«
Verflucht sei der Augenblick, wo ich auf den Orden der Allmächtigkeit reingefallen bin und mich aufgeschwungen habe, den Retter zu spielen!
»Vika, wir gehen in die Tiefe «, befahl
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