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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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jetzt ja spottbillig, die will ja niemand mehr, und sein alter Plattenspieler, ein Wega, läuft noch einwandfrei. Und im fünften Stock, da lebt ein ziemlich merkwürdiger Typ, ich glaube ein Ingenieur, der in einer Fabrik in Tula arbeitet, die früher Waffen hergestellt hat, heute aber Konsumgüter. Er träumt davon, Liebeskrimis zu schreiben, dieses Genre hat er sich ausgedacht … Er schreibt sie sogar tatsächlich, jeden Abend tippt er eifrig, aber er zeigt seine Werke niemandem. Er weiß selbst, dass sie nicht gut sind. Das ist ein seltener Typ von Schreibwütigem, denn er nervt keinen mit seinem Kram. Hin und wieder lese ich seine Manuskripte. Sie sind wirklich schlecht, aber sehr rührend und naiv. Er hätte im 18. Jahrhundert leben müssen.«

    Vika antwortet nicht, so dass ich fortfahre, obwohl ich bereits weiß: Ich habe einen Fehler gemacht, ich hätte ihr diese leere Wohnung nicht zeigen, geschweige denn von den anderen reden sollen. Sie kann mit diesem Unding nichts anfangen, mit diesem Alptraum, an dem ich über zwei Jahre gebastelt habe.
    »Im zweiten Stock lebt eine alte Frau ganz allein in einer Dreizimmerwohnung. Sie hat es nicht leicht, das weiß ich. Eigentlich kommt sie aus der Ukraine, ich glaube aus Charkow. Sie stellt den Fernseher nur an, wenn eine Seifenoper läuft, und auch dann nimmt sie die Farbe etwas raus, weil sie meint, das verbrauche weniger Strom und schone die Bildröhre. Aber sie hat Angst, einen Untermieter aufzunehmen oder die Wohnung zu wechseln, und vielleicht hat sie sogar Recht damit. Ich gehe nur selten bei ihr vorbei, schließlich kann ich ihr sowieso nicht helfen, und es tut mir weh zu sehen, wie sie lebt. Vor allem, wenn ein Feiertag bevorsteht. Denn die Armut ist am schlimmsten, wenn sie Silvester feiert. Ihre Kinder haben sie längst vergessen, vielleicht hat sie auch nie welche gehabt oder sie sind im Krieg gestorben, bei ihr an der Wand hängt nämlich ein Foto von einem jungen Mann in russischer Uniform.«
    Vika schweigt.
    »Im ersten Stock wohnt ein Pärchen, die sind ziemlich komisch. Beide kommen aus Ufa. Sie sind erst ein Jahr verheiratet, streiten und vertragen sich ständig, manchmal ist das sogar im Treppenhaus zu hören. Doch selbst wenn sie Geschirr zerschlagen und derart laut mit den Türen knallen, dass der Putz von den Wänden kommt,
glaube ich nicht, dass sie sich scheiden lassen werden. Irgendwas schweißt sie zusammen, vielleicht ein Geheimnis oder doch die Liebe, vielleicht auch beides. Denn die Liebe ist auch ein Geheimnis. Die Dreizimmerwohnung nebenan steht leer … völlig. Da hat mal eine jüdische Familie gelebt, aber sie ist weggegangen, die Wohnung hat sie einer Firma verkauft, und die findet keinen Nachmieter. Womöglich verlangt diese Firma zu viel, immerhin, eine Wohnung in Moskau, in einem guten Bezirk …«
    Ich ersticke in dieser Stille, in ihrem Schweigen.
    »Ganz unten lebt ein alter Invalide, er geht an Krücken. Vielleicht ist er der lauteste und giftigste Kerl in ganz Kursk. In jedem Geschäft macht er einen Aufstand und pöbelt die Nachbarn an. Ich husche immer durchs Parterre, denn ich habe Angst, mit ihm aneinanderzugeraten. Im Grunde weiß ich, dass das ungerecht ist, schließlich kann er nichts dafür, dass er so geworden ist. Daran ist das Leben schuld. Das Leben …«
    Ich begreife selbst, wie blöd diese Worte klingen.
    Das Leben? Welches denn? Das in den leeren Wohnungen eines designten Hauses, in diesen Betongräbern, wo nur Dinge an Menschen erinnern. Eine Neutronenbombe würde Gefallen an mir finden, aber keine lebende Frau!
    Nein, ich bin wohl tatsächlich ein Idiot. Ein klinischer Fall. Was soll’s? Damit hat Vika ein neues Forschungsobjekt.
    »Ljonka«, presst sie heraus. »Mein Gott, Ljonka, was ist bloß mit dir passiert?«
    Wären wir also bei der Frage …
    »Ich bin doch wirklich eine Idiotin«, sagt Vika. »Da jammere ich dir die Ohren voll wegen meiner Arbeit mit diesen
Psychopathen … wegen all diesen Schweinehunden … aber im Vergleich zu dir …«
    »Vika …« Ich begreife gar nichts mehr.
    »Hat dich jemand verlassen? Oder verraten? Hast du deine Ideale verloren, an die du geglaubt hast? Hast du die Hoffnung verloren?«, fragt sie leise. »Meinst du, dass du überflüssig bist, weil du für niemanden etwas tun kannst? Fürchtest du, nie im Leben etwas Gutes zu vollbringen? Bist du deshalb hierhergeflohen, in die Tiefe , in ein Märchen? Dabei kannst du lieben. Du hast nur Angst vor der

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