Labyrinth der Spiegel
mit dem Jungen auf dem Arm zu mir. Das macht ihn mir mit einem Mal direkt sympathisch. Er ist ein Blödmann, der seinen Timer abgestellt und sich in der Tiefe verirrt hat, aber er ist kein schlechter Kerl.
»Wo sind deine Eltern?«, frage ich den Jungen, in der Hoffnung auf ein simples Programm, das nicht erst nach langen Gesprächen und fürsorglicher Zuwendung verlangt. Der Junge zeigt wortlos auf ein Gebäude. Wenigstens etwas!
Während wir uns dem Haus nähern, halte ich den Granatwerfer im Anschlag.
Beim Anblick der Eingangstür – sie hängt schief in den Angeln und quietscht, obwohl es windstill ist – schrillen sämtliche Alarmglocken in mir los. Im Haus selbst ist alles dunkel, die Fenster sind von innen mit blauem Moos zugewachsen.
»Ist das dein Zuhause?«, frage ich den Jungen. Der nickt.
Ganz vorsichtig trete ich ein.
»Verzeiht mir!«, flüstert der Junge. »Sie haben gesagt, sie lassen meine Mama frei, wenn ich …«
Ich schaffe es gerade noch zurückzuspringen, so dass die Feuersalve an mir vorbeischießt. Im Innern des Hauses rollt polternd etwas über den Boden. Ich schicke meine letzte Granate durch die Tür.
Doch nach der Explosion wird das Gepolter nur lauter. Der Junge weint und zappelt auf dem Arm des Losers hin und her. Als der versucht, ihn festzuhalten, zerkratzt ihm der Kleine das Gesicht, entschlüpft ihm und stürzt durch die Tür.
»Mama!«, höre ich einen hohen Schrei. Es folgt ein dumpfes Schmatzen, danach ist es totenstill.
»Nichts wie weg hier!«, verlange ich, fasse den Loser beim Arm und ziehe ihn mit mir fort. Er würde dem Jungen jedoch am liebsten hinterherjagen, geradewegs hinein in das gastfreundliche Maul dieses ominösen Monsters.
»Warum?«, flüstert der Loser und dreht sich mir zu. »Warum hat er das gemacht?«
Wie sollte ich ihm die Logik der Schöpfer dieses Levels erklären – wo er alles, was hier passiert, für bare Münze nimmt?
»Man hat den Jungen gezwungen, alle Spieler in diesen Hinterhalt zu locken«, antworte ich. »Sie haben ihm gedroht, seine Mutter umzubringen. Deshalb hat er das gemacht.«
Der Loser schweigt, als denke er über meine Worte nach. »Und warum ist er ins Haus gerannt?«, fragt er schließlich.
Immerhin taut mein Schützling etwas auf.
»Weil er Angst um seine Mutter hatte.«
»Wir müssen sie retten«, verkündet der Loser und packt das Gewehr fester. Er beabsichtigt tatsächlich, sich in die Höhle des Löwen zu begeben.
»Sie sind bereits tot!«, schreie ich. »Sie sind gestorben, glaub mir!«
Er glaubt mir und lässt die Waffe sinken. Und zum Glück dürstet er nicht mal nach Rache.
Wir gehen weiter.
Mein Granatwerfer ist leer und der Loser hat noch zehn Kugeln in seinem Gewehr. Tolle Ausrüstung! Aber wir beabsichtigen ja bloß, einen wunderbaren kleinen Spaziergang
zu machen! Als ich aus den Augenwinkeln heraus wahrnehme, dass hundert Meter vor uns ein Mann steht, der uns beobachtet, sinkt meine Stimmung endgültig in den Keller.
»Niete den da um!«, befehle ich.
Der Loser dreht sich mir verständnislos zu. »Weshalb?«
Eben! Wenn er das, was hier passiert, für bare Münze nimmt, dann wird er niemanden erschießen. Er ist nämlich ein anständiger Kerl.
»Gib mir deine Waffe!«, fordere ich ihn auf, ohne den Unbekannten aus den Augen zu lassen. Ist das Alex oder nicht? Mist! Wo ist nur mein Fernglas?
»Nein!«, entgegnet der Loser unumstößlich und versteckt die Waffe hinterm Rücken.
Ich hab nicht mal Lust, mich mit ihm zu streiten. Ich starre den Unbekannten nach wie vor an. Der mustert uns ganz genauso, bis er irgendwann hinter einem Haus verschwindet.
Anscheinend ist es nicht Alex gewesen.
»Gehen wir weiter, mein Sorgenkind«, fordere ich ihn auf.
Eine halbe Stunde später hat sich die Lage etwas verbessert. Die purpurroten Wolken am Himmel haben sich verzogen und der unbarmherzigen Sonne des Südens Platz gemacht. Wir haben den Ausgang von Disneyland fast erreicht. Der Loser hat den Angriff von zwei weiteren spinnenartigen Monstern abgewehrt, ich habe Munition für den Granatwerfer und eine Plasma Gun mit einer Energiezelle gefunden. Damit sieht die Sache gleich ganz anders aus.
Im Schatten einer zerstörten Pizzeria legen wir Rast ein.
Diesmal brauche ich den Loser nicht zu überreden, etwas zu essen. Er kaut konzentriert das letzte Sandwich und ich beobachte ihn. Okay, ich selbst muss nichts essen – aber du könntest mir ja was anbieten, du Lamer!
»Warum wolltest du diesen Mann
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