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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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umbringen?«, fragt der Loser.
    Ich gestehe ihm lieber nicht, dass wir seine Ausrüstung gut hätten gebrauchen können. »Er hätte uns angreifen können.«
    »Nein. Dick ist gut.«
    »Dick?«
    »Ja. Er hat versucht, mir zu helfen. Heute Morgen.«
    Das will mir nicht in den Kopf.
    Soll das heißen, uns verfolgt einer der Diver aus dem Labyrinth? Ohne zu intervenieren, ohne seine Hilfe anzubieten, aber auch ohne uns in die Quere zu kommen?
    Reichlich merkwürdig.
    »Ist Anatole auch gut?«, lasse ich einen Versuchsballon steigen.
    Der Loser schüttelt energisch den Kopf. Er macht allerdings keine Anstalten zu erklären, warum er den zweiten Diver nicht leiden kann.
    »Und ich?« Meine Neugier ist geweckt. Der Loser hört auf zu kauen. Er denkt nach.
    »Das weiß ich noch nicht«, weiht er mich in seine Schlussfolgerungen ein, um dann in entschuldigendem Ton hinzuzufügen: »Wahrscheinlich eher gut.«
    Jetzt, wo das Gespräch einmal in Gang ist, sollte ich die Gelegenheit nutzen. Behutsam fasse ich nach der Hand
des Losers. »Du weißt, dass alles um uns herum nur eine virtuelle Realität ist?«
    »Ja.«
    Sehr schön, das ist schon mal die halbe Miete!
    »Also … wie heißt du nun eigentlich?«, frage ich.
    »Das kann ich nicht sagen«, gesteht der Loser mit offenkundigem Bedauern.
    »Sicher?«
    »Ja.«
    »Du befindest dich jetzt schon anderthalb Tage im virtuellen Raum. Das ist lange, sehr lange. Dein Körper ist müde, er braucht Ruhe, etwas zu essen, Wasser …«
    Ich hoffe darauf, dass meine Stimme die gleiche Wirkung hat wie die eines Hypnotiseurs.
    »Ich muss hier raus«, stimmt der Loser mir zu.
    »Und ich werde dir dabei helfen«, erneuere ich mein Versprechen. »Wir haben es fast geschafft. Sollte aber doch noch was dazwischenkommen, wäre es einfacher, dir auf einem anderen Weg zu helfen.«
    Der Loser schluckt die Reste des Sandwichs hinunter und sieht mich fragend an.
    »Gib mir deine Netzadresse«, bitte ich. »Das Labyrinth würde sich dann mit deinem Provider in Verbindung setzen, damit der jemanden schickt, der dich manuell aus der Tiefe herausholt. Deswegen musst du dich nicht schämen, ganz bestimmt nicht. Das passiert allen einmal.«
    »Nein, das ist unmöglich.«
    »Jetzt hör mir mal gut zu! Wenn du dich für das, was geschehen ist, so sehr schämst oder Angst hast … dann fahre ich selbst zu dir nach Hause. Wo auch immer du
lebst. Ich bin eine Privatperson. Das Labyrinth kann mich mal. Ich will dir bloß helfen! Glaubst du mir?«
    »Ja.«
    »Dann sag mir deine Adresse.« Einen Augenblick lang glaube ich, gewonnen zu haben. Ich bin wirklich bereit, die Tiefe auf der Stelle zu verlassen, mir ein Flugticket zu kaufen und zum Loser nach Hause zu eilen. Egal, ob er auf Sachalin oder in Magadan wohnt.
    »Nein.«
    Vor Wut schlage ich mit der Hand gegen die Mauer und verletze mir glatt die Finger. »Dann steh auf!«, befehle ich.
    Disneyland verlässt du durch ein Spiegellabyrinth. Ein Labyrinth im Labyrinth. Mit einem Mal schwirrt mir der Kopf, als ich mir diese Matrjoschka aus virtuellen Räumen vorstelle.
    »Wie du meinst«, sage ich bloß, als wir an einem alten Mann mit Bart vorbeigehen, der sich in eine steinerne Statue mit einem Stapel Reklameblättern in den Granitfingern verwandelt hat. Er sieht allen Spielern, die das Level verlassen, traurig hinterher. »Ich gehe voran. Halte dich dicht hinter mir, klar? Und versuche, den Feind als Erster zu entdecken. Du hast scharfe Augen.«
    »Gut«, verspricht der Loser.
    Wir betreten das Spiegellabyrinth. Zunächst ist es lediglich ein Gang, der mit Spiegeln ausgekleidet ist. Nach einer Weile verzweigt er sich jedoch, und Säulen kommen hinzu. Irgendwann verliere ich völlig die Orientierung. Mich umzingeln zehn Diver-und-Loser-Paare. Die Welt zersplittert, dreht sich, schwimmt.

    Scheiße.
    In echten Spiegelkabinetten, die man so gern in billigen Fantasy-Spielfilmen zeigt, ist alles anders. Da verwechselst du nie Realität und Illusion, sosehr sich die Regisseure auch ins Zeug legen.
    Hier dagegen bemerkst du keinen Unterschied zwischen beiden.
    Ich spiele mit dem Gedanken, die Tiefe zu verlassen. Aber das würde nichts bringen, die Bilder würden dann bloß Zahlen weichen. Gespiegelten Zahlen.
    »Bleib dicht hinter mir, Loser!«, befehle ich noch einmal und benutze automatisch den Namen, den Guillermo ihm gegeben hat. Der Loser protestiert nicht.
    Nachdem wir geschlagene zwanzig Minuten durch das Labyrinth geirrt sind, gelangen wir endlich in einen

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