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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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Gemetzel in der Etappe davor überlebt haben. Endlose Reihen von Supermärkten und kleinen Läden. Solange du deine Nase nicht zu weit in sie hineinsteckst, bist du relativ sicher.
    Ich erbeute einen Karabiner, einen Granatwerfer, eine kugelsichere Weste und Munition. Ohne in weitere Kämpfe verwickelt zu werden, erreiche ich den Ausgang.
    Auf zum Loser – verflucht sei der Kerl!
    Als ich das Gelände von Disneyland betrete (am prachtvollen Eingangstor liegt eine blutüberströmte Puppe und ein Haufen kleiner Knochen), schießt mir unwillkürlich der Gedanke durch den Kopf, dass der Loser längst gerettet ist.
    Wäre ein guter Witz.
    Aber nein, er kauert noch immer an seinem Platz.
     
    Ich sehe mich lange um und präge mir die Umgebung ein. Als ich das Labyrinth das letzte Mal durchlaufen bin,
hat es diesen Vergnügungspark noch nicht gegeben. Die dreiunddreißigste Etappe war unangenehm, aber absoluter Standard.
    Der Loser sitzt gekrümmt vor der geschmolzenen Umzäunung der Russischen Berge  – wobei ich eine Achterbahn eigentlich doch lieber Amerikanische Berge nennen würde. Auf der einen Seite schützt ihn das aufwendig gestaltete Häuschen mit der mechanischen Steuerung, auf der anderen eine Mauer, die ganz Disneyland umläuft. Ein guter Platz. Niemand kann sich unbemerkt an den Loser anschleichen. Ich hätte mich auch hier hingehockt.
    Nur dass ich nicht so lange ausgeharrt hätte. Nicht knapp zwei Tage.
    Ohne Deckung, mir erhobenen Armen und leeren Händen, gehe ich auf den Loser zu. Er reagiert nicht. Vielleicht schläft er ja.
    Vielleicht ist er aber auch tot.
    Im virtuellen Raum zu sterben ist eine unangenehme Sache. Ich habe das schon mal mitangesehen. Das Schrecklichste dabei war, dass die Leiche noch »lebte«, weiter durch die Straße gezogen und mit anderen Leuten zusammengestoßen ist. Dabei hat der Avatar in einem fort den Todeskrampf seines unglückseligen Herrn wiederholt. Nachdem man zwei Stunden damit zugebracht hat, seinen Verbindungskanal zu eruieren, ist er manuell abgeschaltet worden. Ist doch echt widerlich, wenn so ein Toter durch die Straße rennt.
    Aber der Loser lebt noch und hebt den Kopf.
    »Hallo!«, rufe ich. »Hello! Schieß nicht! Don’t shoot!«

    Er antwortet nicht. Aber er greift auch nicht nach der Pistole.
    »Ich will dir helfen.« Als ich hinter mir Geräusche höre, fahre ich herum. Irgendein Typ mit Plasma Gun starrt mich mit irrem Blick an.
    Mit einer Kopfbewegung bedeute ich ihm abzuziehen.
    Ich brauche ihn nicht lange zu überreden. Er hat den Revolvermann erkannt – und nicht die geringste Absicht, in Erfahrung zu bringen, ob er sich mit meinen Schießkünsten messen kann.
    »Lass uns miteinander reden!«, wende ich mich wieder Loser zu, während ich mich ihm nähere. »Okay? Ich bin dein Freund! Go steady!«
    Er ist völlig apathisch, legt es nicht auf einen Schusswechsel an, ist aber auch nicht auf einen Freund erpicht.
    Ich hocke mich neben ihm hin und nehme seine Pistole ganz behutsam an mich. Der Loser reagiert nicht.
    »Verstehst du mich?« Ich schreie fast. Und tatsächlich lässt der Loser sich zu einer Antwort herab. Seine Lippen bewegen sich, und ich reime mir eher zusammen, was er sagt, als dass ich es höre. »Ja.«
    Das ist doch immerhin etwas. Ein Landsmann.
    »Bist du schon lange hier?«, taste ich mich weiter vor. Ob er bereits das Zeitgefühl verloren hat?
    Ein Nicken. Auch das versteht er.
    »Ist dein Timer eingestellt?«
    Keine Reaktion.

    Ich packe ihn bei der Schulter. »Ist dein Timer eingestellt?« , wiederhole ich. »Dein Timer?«
    Der Loser schüttelt den Kopf. Scheiße. Schlechte Karten. Ich drehe mich um – Guillermo wird uns doch sicher beobachten – und rufe: »Haben Sie das gehört? Er kann nicht mehr raus! Ermitteln Sie seine Verbindung!«
    Von dieser Aufforderung verspreche ich mir allerdings kaum was. So wie es aussieht, muss ich den Loser zum Ende der Etappe schleusen und ihn dort überreden oder zwingen, »EXIT« in den Rechner einzugeben.
    Aber das sollte ja wohl möglich sein!
    »Wir stehen jetzt beide auf und gehen zusammen hier weg«, rede ich so sanft auf ihn ein, als spräche ich mit einem Kind. Aber vielleicht ist der Loser ja tatsächlich ein Kind, das sich in Abwesenheit seiner Eltern am Computer zu schaffen gemacht hat. Dergleichen ist schon vorgekommen. »Kannst du gehen?«
    Ein unsicheres Nicken.
    »Dann lass uns erst noch etwas ausruhen.« Dieser Vorschlag ist völlig blödsinnig, klar, schließlich ruht sich

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