Labyrinth der Spiegel
die Eier. Jetzt krümmt sich Anatole vor Schmerz.
Dick wartet ungerührt auf den dritten Schlag, doch da werden wir friedlich.
»Na bitte«, brummt Dick und lässt die Waffe sinken. Er spricht ein klares Russisch, fast ohne Akzent. »Verdammt nochmal, ihr seid Diver!«
»Der da ist ein bekloppter Lamer!«, zischt Anatole. »Dieser Schwachkopf!«
»Mach mal halblang«, pfeift Dick ihn zurück. »Er hat sich gut geschlagen, ich habe ihn beobachtet. Nicht immer fair, aber immer überzeugend.«
Dick ist eher klein, mager und agil. In diesem Duo hat er das Sagen. Anatole erwidert kein Wort und wischt sich das Blut aus dem Gesicht.
Ich folge seinem Beispiel.
»Du hast deine Sache wirklich nicht schlecht gemacht«, sagt Dick. »Nur ist das alles nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht.«
»Das habe ich inzwischen auch begriffen«, erwidere ich, während ich den Blick vom Körper des Losers löse. »Was geht hier vor?«
»Erklär du es ihm, Anatole!«, bittet Dick und setzt sich auf den verrußten, geborstenen Spiegelboden.
Anatole verzieht das Gesicht, als habe man ihm befohlen, eine Handvoll Blutegel zu essen. Dennoch gehorcht er.
»Was hast du denn geglaubt, du DAU, dass wir die reinsten Idioten sind?«, blafft er.
»Das kannst du sicher besser entscheiden«, gifte ich zurück.
»Wir haben jede Stunde versucht, ihn hier rauszuschleusen!« , poltert Anatole. »Ich siebenmal, Dick achtmal! Geht das in deinen Schädel, du Frischling?! Wir kennen hier jeden Winkel! Wir wittern förmlich, wenn sich was verändert! Kapiert?«
So schwer ist das ja nicht.
»Guillermo hat dir doch gesagt, dass wir versuchen, den Jungen rauszuholen, oder?«, erkundigt sich Dick in gelangweiltem Ton.
»Mhm.« Ich betaste meine gebrochene Nase.
»Wunderbar!« Nun kommt auch Dick in Fahrt. »Dieser …« Er schluckt die Beleidigung hinunter und winkt müde ab.
»Was willst du von ihm?«, fragt Anatole direkt.
»Von wem?«
»Vom Loser!«, brüllt Anatole. Er hat eindeutig die Absicht, den Loser noch einmal zu treten, um mir klarzumachen, wen er meint, kann sich aber gerade noch rechtzeitig bremsen. »Also? Was willst du von ihm? Bist du pleite, dass du auf unsern Job scharf bist?«
»Ich würd mich nicht in eure Arbeit einmischen, wenn ihr sie ordentlich hinkriegen würdet!«
»Anatole hat Recht«, mischt sich Dick ein. »Was willst du von ihm?«
»Nichts.«
»Jetzt hör mir mal zu, Freundchen! Wenn du seine Adresse hast, dann hol ihn manuell raus!«
»Die hab ich aber nicht«, erwidere ich. »Das kannst du mir glauben! Er ist nur ein Klient für mich. Ich habe den Auftrag bekommen, ihn zu retten!«
»Von wem?«
»Das weiß ich auch nicht. Mein Auftraggeber hatte nämlich kein Gesicht.«
Ich lauere auf ihre Reaktion, doch die bleibt aus. Meine Anspielung auf den Mann Ohne Gesicht halten sie für eine rein rhetorische Figur.
»Wir liegen echt in der Tinte«, murmelt Dick.
»Sitzen«, korrigiert ihn Anatole automatisch.
»Danke.« Dick sieht mich an. »Wie heißt du?«
»Leonid. Ljonja.«
»Du kennst mich unter dem Namen Crazy Tosser!«, stellt er sich mir vor.
Ist das zu fassen? Crazy Tosser ist einer der ältesten und angesehensten Diver. Ein lustiger dicker Herr in mittleren Jahren. Zumindest erscheint er so bei unseren Treffen.
Hier verdient sich Tosser also seine Brötchen …
»Also, Leute, ich bin nicht auf euren Job aus«, sage ich. »Ich habe einen konkreten Auftrag. Ich soll den Loser retten. Und diesen Auftrag konnte ich nicht ablehnen.«
Daraufhin entspannen sich die beiden sofort. Anscheinend hat mein gestriger Durchmarsch durch die Levels des Labyrinths ganz konkrete Ängste in ihnen ausgelöst.
»Du bist ein Doomer, oder?«, fragt Anatole. »Noch einer von der alten Garde?«
»Ja.«
»Also … das war echt nicht schlecht«, meint Anatole und wendet sich ab. »Ich habe ein paar Geschichtchen über dich gehört. Selbst wenn du die Hälfte davon vergessen kannst, trotzdem … alle Achtung!«
»Danke«, sage ich. Ja, ja, für etwas Anerkennung ist sogar ein Frischling offen.
»Aber den Loser kannst du nicht retten«, behauptet Dick.
»Was?«, frage ich verwirrt.
»Es ist unmöglich.«
»Dick ist der Pessimist von uns beiden«, grinst Anatole. »Gut, setz dich, ich erklär’s dir.«
Wir setzen uns um den Loser herum, und Anatole fängt an zu erzählen. Ich höre zu, sortiere die nebensächlichen Details aus und präge mir nur die grundsätzlichen Fakten ein.
Der Loser rückt
Weitere Kostenlose Bücher