Labyrinth der Spiegel
verschiedenen Programmen. Und wenn etwas passiert, das darüber hinausgeht, heißt das bloß, dass dahinter ein Mensch steckt.
Nur wer konnte hinter den endlosen Toden des Losers stecken?
Sicher, ein guter Diver oder auch ein erfahrener Bewohner der Tiefe ist imstande, immer wieder den eigenen Tod zu inszenieren. Und das Märchen mit den Gewehren, die der Loser permanent fallen ließ, war etwas für kleine Kinder. Aber warum stellte sich das Netz selbst auf die Seite des Losers? Warum hatte Alex ihn ausgerechnet in dem Moment erwischt, als ich nicht in seiner Nähe war? Ein Zufall?
Genau wie ein Zufall dafür gesorgt haben sollte, dass die beiden Profis, die den Loser schon bis zum Ausgang gebracht hatten, am Ende doch scheiterten?
Das glaube ich nie im Leben.
Nachdem ich wieder in die Tiefe abgetaucht bin, sitze ich wie ein begossener Pudel in der Umkleidekabine des Labyrinths, ein Loser von Diver, der sich für den Klügsten hält. Tiefe, Tiefe … Wie mühelos du mich vernichtet hast, ohne dass ich es auch nur bemerkt habe. Doch der Kampf ist aus, wenn der Feind nicht mehr antritt.
Der Mann Ohne Gesicht wusste schon, warum er mir für die Rettung des Losers den Orden versprochen hat. Überhaupt weiß er mehr, als er sagt. In diesem speziellen Fall helfen ein präziser Schuss und eine schnelle Reaktionsfähigkeit nämlich nicht weiter.
In Zukunft sollte ich also nicht mehr auf eine virtuelle Tür ballern – sondern den echten Ausgang suchen.
Ich stopfe die Rüstung und die Waffen in den Spind, gehe unter die Dusche und drehe mich eine Minute unter den eiskalten Strahlen um die eigene Achse. Anstelle der Verwirrung und Hilflosigkeit tritt jetzt die Wut. Bestens. Herzlich willkommen, gute alte Wut! Du bist genau das, was ich jetzt brauche. Schluss mit dem Fairplay!
Ich ziehe mich an und begebe mich in den Säulensaal.
»Die Administration vom Labyrinth bittet den Revolvermann zum Chef des Sicherheitsdienstes zu kommen«, erschallt es prompt. »Die Administration …«
Alle Blicke richten sich auf mich, als ich auf jene Tür zugehe, durch die Guillermo das letzte Mal gekommen ist. Sie ist nicht verschlossen.
Diesmal bin ich nicht allein in der Administration. Ich lande bei den Sysops; ich sehe sie, sie sehen mich. Interessieren dürfte sich für mich jedoch kaum jemand. Ich gehe Gänge hinunter und spähe durch Glastüren, erblicke Rechner, an denen Frauen und Männer sitzen. Mitunter komme ich an regelrechten Sälen vorbei, in denen sich auf langen Tischen Attrappen türmen. Sämtliche Levels des Labyrinths sind hier nachgebildet, mit ihren Hügeln und Schluchten, Gebäuden und Ruinen, Flüssen und lodernden Brandstätten. Um diese Muster gehen gelangweilt ein paar Leute herum. Gerade beugt sich ein Typ über eine Nachbildung, um aus einem Kolben eine grüne Flüssigkeit in einen winzigen Fluss zu gießen. Sofort schäumt der Fluss auf. Der Typ stupst einen Kollegen neben ihm an, der betrachtet die verhunzte Landschaft und zuckt bloß mit den Achseln.
So basteln sie also ihre Levels. Die Skelette und Gerüste, die danach ihr eigenes elektronisches Leben leben, die von Monstern und Spielern bevölkert werden. Ein paar Wochen oder Monate wird das Level die Fantasie der Stammspieler im Labyrinth beschäftigen. Danach wird es ausgetauscht.
»Sind Sie der Revolvermann?«
Eine Frau ist unbemerkt und lautlos an mich herangetreten. Sie ist schön und hat blondes Haar.
»Ja.«
»Dann kommen Sie bitte mit, Herr Aguirre erwartet Sie bereits.«
Ich folge ihr. Im Grunde weiß ich, was man mir jetzt gleich sagen wird. Aber was sind schon zehn Minuten für Formalitäten!
Guillermo steht am Fenster, durch das er auf Twilight City hinabsieht, diese dunkle Silhouette im blutroten Abendlicht. In dem dreieckigen Zimmer ist alles bis ins Kleinste bedacht: Der Herr des Büros wirkt vor dem Hintergrund des Fensters klein, verloren – und zieht den Blick auf sich. Dagegen fühlt sich derjenige, der an der Pyramidenspitze ins Zimmer eintritt, unwillkürlich wichtig – und unbehaglich.
»Oh, Revolvermann!« Guillermo kommt mit energischen Schritten auf mich zu. »Setzen Sie sich doch bitte!«
»Sie wollen den Vertrag aufkündigen?«, frage ich ganz direkt.
Guillermo bleibt stehen und reibt sich die Nasenwurzel. »Mhm … Sie haben mit Anatole gesprochen, Revolvermann?«
»Ja.«
Als hätte er unser Gespräch nicht verfolgt …
»Teilen Sie die Meinung unserer Diver, Revolvermann?«
»Nein.«
»Warum
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