Labyrinth der Spiegel
nicht?«
»Würde das etwas ändern?«, antworte ich mit einer Gegenfrage. »Sie haben doch bereits beschlossen, den Loser nicht zu retten.«
»Diese Entscheidung habe nicht ich getroffen«, erwidert Guillermo.
»Aber meinen Vertrag werden Sie trotzdem aufkündigen.«
»Wir wissen Ihren Versuch, uns zu helfen, zu schätzen.« Guillermo seufzt. »Bedeutsam zu schätzen.«
Zum ersten Mal unterläuft Guillermo im Gespräch mit mir ein Fehler. Da begreife ich, dass er nicht per Übersetzungsprogramm mit mir spricht, sondern tatsächlich Russisch kann. Und zwar verdammt gut. Gefällt mir. Wenn es mich auch nicht erstaunt, denn die Russen machen einen extrem hohen Anteil der Spieler aus. Wahrscheinlich weil unser berühmter nationaler Schlendrian bis heute berühmt ist – und viele Firmen völlig arglos für das Amüsement, aber nicht für die Arbeit ihrer Angestellten in der Tiefe zahlen.
»Aber wir sind zur Auffassung gelangt, dass wir es hier mit einem feindlich gesinnten Diver zu tun haben. Würden wir an der Mission seiner Rettung festhalten, hieße das, seinen Plänen Vorschub zu leisten. Nicht wahr?«
Ich nicke. In Guillermos Stimme liegt keine Sicherheit. Doch auch ich habe nichts, was ich der Auffassung von Anatole und Dick entgegensetzen könnte.
Bislang jedenfalls nicht.
Und zu streiten würde nichts bringen.
»Die Firma zahlt Ihnen ein Honorar«, fährt Guillermo fort. »Wir können sogar noch über die Summe verhandeln … in gewissen Grenzen.« Er lächelt gerissen und freundlich.
»Die Summe überlasse ich ganz Ihrem Ermessen«, gebe ich zurück.
Guillermo mustert mich, ehe er sich an den Tisch setzt, um mir einen Scheck auszustellen. In seiner Hand hält er einen vergoldeten Parker, das Scheckheft ist von Chase Manhattan. Vor der Operation in Al Kabar hätte mich die
eingetragene Summe umgehauen, doch selbst jetzt nötigt sie mir noch Respekt ab.
»Vielen Dank«, sagt Guillermo feierlich, als er mir den Scheck überreicht. Das geschieht rein der Form halber, denn das Geld ist längst auf mein Geheimkonto überwiesen, das ich im Vertrag angegeben habe. Trotzdem fühlt es sich nicht schlecht an, einen virtuellen Scheck in Händen zu halten.
Ich nicke und drücke Guillermo die Hand. Das war’s, jetzt kann ich wieder abziehen. Der kleine Junge hat ein Bonbon bekommen, nun jagen ihn die Erwachsenen aus dem Zimmer, damit sie ihre ernsten Spiele weiterspielen können.
»Gönnen wir uns zum Abschied noch ein Schlückchen?« Herr Aguirre befördert lächelnd eine Flasche aus seinem Schreibtisch zutage. Echten französischen Armagnac. Im virtuellen Raum kostet er zwar kaum mehr als eine Coca-Cola, doch was zählt, ist die Geste. Aguirre zweifelt offenbar nicht daran, dass ich den Geschmack dieses Weinbrands kenne.
Wir stoßen an und nippen an unseren Gläsern. Obwohl ich weder Cognac noch Brandy sonderlich gern mag, genieße ich stets das Gefühl, mir für eine Sekunde wie ein Kenner edler Getränke vorzukommen.
»Ich ahne, wofür Sie das Geld verwenden wollen«, bemerkt Guillermo da.
»Und wofür?«
»Es wandert mit Sicherheit aufs Konto des Labyrinths zurück.« Guillermo grinst.
»Nein.«
Er zieht erstaunt die Brauen hoch. »Sie wollen aufgeben? Tatsächlich?«
»Ich werde den Loser retten. Aber dafür reicht mein Geld auch so. Und der Scheck … den kriegen Sie noch einmal zurück. Damit Sie die Summe ändern.«
Guillermo nickt. Da er mit meiner Sturheit gerechnet hat, nimmt er meine Ankündigung voller Zufriedenheit zur Kenntnis.
»Viel Glück, Diver.«
»Würden Sie mich informieren, wenn im Labyrinth etwas Unvorhergesehenes geschieht?«, frage ich. »Inoffiziell, meine ich?«
»Ihre Adresse«, verlangt Guillermo sachlich.
Ich gebe ihm meine Visitenkarte, auf der eine Netzadresse angegeben ist. Allerdings ist das bloß ein Postfach, in dem ich mit einem Passwort an Mails für den »Revolvermann« herankomme.
»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«, bietet Aguirre zum Abschied an.
»Nein, danke, Willy, das ist nicht nötig.«
Den Wagen vom Deep-Explorer halte ich ein paar Blocks später selbst an. Ich mache mir keine Gedanken um Verfolger – aber gute Angewohnheiten solltest du nie ändern.
»Ins Viertel Al Kabar«, verlange ich. Diesmal sitzt eine hübsche, rotblonde Frau mit feinen Fältchen um die Augen hinterm Steuer. Was für ein fantastisch designtes Gesicht!
»Die genannte Adresse existiert nicht«, erwidert sie zu meiner Enttäuschung.
»Al Kabar.
Weitere Kostenlose Bücher