Labyrinth der Spiegel
auf diese Frage zu antworten.
»Niemand Besonderes. Bloß ein Typ, der glaubt, er habe das Recht, über seine Mitmenschen ein Urteil zu fällen.«
»Zum Beispiel über virtuelle Nutten?«
»Nicht nur. Ich weiß noch von etlichen anderen Orten, an denen Cappy seine Experimente durchführt.«
»Er hat etwas von Psychologie gesagt …«
Aus unerfindlichen Gründen amüsieren Vika diese Worte. »Eine Persönlichkeit, die nicht in der Lage ist, etwas zu kreieren, sucht unweigerlich nach einer Rechtfertigung
für ihr destruktives Verhalten«, führt sie aus. »Häufig neigt sie dazu, die Unzulänglichkeiten der Welt mit distanziertem Blick zu registrieren. Vor allem solche Unzulänglichkeiten wie unser Bordell.« Wir erreichen die Tür mit der lachenden schwarzen Katze und treten in Vikas Zimmer ein. »Psychologie ist im Grunde eine sehr einfache Wissenschaft: Ein Mensch, der unfähig ist, einen Nagel einzuschlagen oder ein paar Zeilen zu reimen, hegt nicht die geringsten Zweifel an seiner Fähigkeit, andere zu verstehen und zu beurteilen. Im Extremfall wird das zu seinem Lebenssinn und zur Quelle seiner Selbstbestätigung.«
»Wer bist du, Vika?«
»Eine Psychologin. Promoviert, wenn du es unbedingt wissen willst.«
Sie fegt ein paar kleine Steine von einem Stuhl und setzt sich. Nach dem Erdbeben schreit das Zimmer nach einer Putzaktion. Da es keinen zweiten Stuhl gibt, hocke ich mich neben sie.
»Und worüber hast du promoviert?«
»Über die Sublimation anomaler Verhaltensweisen im virtuellen Raum.« Fast entschuldigend fügt sie hinzu: »So wird das normalerweise ausgedrückt.«
Darum geht es also!
»Dann forschst du also über solche wie Cappy?«, bohre ich weiter. »Du bist ein echter Jäger auf der Jagd nach den falschen?«
»Nein, Ljonja, schon lange nicht mehr. Ein halbes Jahr, vielleicht ein Jahr, da ist es ganz interessant, über solche Leute zu forschen. Danach weißt du, dass sie sich alle gleichen.
Cappy und Konsorten, meine ich. Das Krankheitsbild ist immer das Gleiche, und wenn du einen Psychopathen kennst, kannst du das Verhalten von Tausenden bestimmen.«
»Aber warum hast du dann …?«
»Weil es sie gibt. Die für sie typische Destruktion fügt hier einem, schlimmstenfalls einigen wenigen Menschen Schaden zu. Im realen Leben dagegen würden sie eine Spur aus vernichteten Schicksalen, vergifteter Liebe und verratener Freundschaft hinter sich herziehen. Vielleicht sogar aus Blut. Hier können sie nichts anrichten. Ihre ganze Überheblichkeit, ihre tierischen Reaktionen, die Intrigen und ihre Eitelkeit sind hier nichts als Staub. Staub, der vom Wind davongetragen wird.«
»Aber du leidest darunter!«
»Ja und? Das ist doch kein echter Schmerz. Das ist ein virtueller Schmerz.«
»Vika!«
»Misch dich bitte nicht in die Angelegenheiten des Etablissements ein, ja! Sonst wird Madame dir den Zugang verweigern.«
Sie lächelt, und ich kapituliere. »Okay. Im Etablissement werde ich mich nicht in eure Angelegenheiten einmischen.«
»Und außerhalb?«
»Du willst ja wohl nicht meine persönliche Freiheit einschränken?«
»Wie alt bist du, Leonid?«
»Tauschen wir?«, frage ich wie aus der Pistole geschossen zurück. »Information gegen Information?«
Im virtuellen Raum hängt niemand seine persönlichen Daten an die große Glocke. Aber Vika ahnt nicht einmal, wie wenig ich normalerweise von mir preisgebe.
»In Ordnung. Ich bin neunundzwanzig.«
Noch ehe ich antworte, wird mir meine Freude bewusst. »Und ich vierunddreißig.«
»Hätt ich nie gedacht. Ich hätte dich auf höchstens Anfang zwanzig geschätzt.«
Und nie wird über meine Lippen kommen, dass ich befürchtet hatte, sie sei älter als ich.
»Im virtuellen Raum darfst du deinen Augen nun mal nicht trauen.«
»Nein. Im virtuellen Raum erstarrst du unwiderruflich, denn er ist kalt wie Eis. Deinen ersten Avatar wirst du nie wieder los. Selbst wenn du dir danach hundert Körper ausdenkst, schimmert der erste immer durch.«
»Und dein erster Avatar war die Madame?«
Vika langt nach ihrer Tasche, holt die Zigaretten heraus und zündet sich eine an. »Ja. Wir haben Gelder bekommen, um das Sexualverhalten von Menschen im virtuellen Raum zu untersuchen. Im Westen ist man völlig auf Cybersex abgefahren. Etwa ein Drittel von dem, was sich im Netz abspielte, hatte was damit zu tun. Deshalb habe ich mir die Madame einfallen lassen, eine selbstsichere, lebenserfahrene Puffmutter, die nichts erschüttern kann.«
»Die ist dir ja
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