Lackschaden
quer durchs Wohnzimmer.
»Dann eben keine Kohlenhydrate!«, brülle ich.
Er schaut mich an, als würde er am liebsten direkt in der Psychiatrie anrufen.
»Ich versteh dich einfach nicht, was ist nur mit dir los? Das ist ja richtiggehend hysterisch, wie du dich aufführst. Darf man hier denn nichts mehr sagen? Reiß dich halt mal zusammen!«
Auch noch das! Der Mutti-Standardsatz aus dem Mund meines Mannes. Hätte ich doch bloß mit Herrn Reimer Kaffee getrunken. Vielleicht wäre mir das hier dann egal gewesen. Ohne dieses Ego-Doping ist es mir aber keineswegs egal. Ich würde nur zu gerne um mich hauen. Dummerweise sind mittlerweile die übrigen Familienmitglieder auch alle aufgetaucht.
»Was hat denn hier so en Schlach getan?«, fragt Rudi ganz naiv.
»Der Topf mit eurem Abendessen!«, antworte ich und merke, wie mir schon wieder die Tränen aufsteigen.
Ich entwickle mich mehr und mehr zu einer Rund-Um-Die-Uhr-Heulsuse. Ein blöder Satz von Christoph, und ich will schlagen und weinen. Kein gutes Zeichen. Wo ist nur meine Selbstbeherrschung geblieben? Wieso bin ich so unentspannt, und warum nur nehme ich so ein paar blöde Bemerkungen so wichtig?
»Ja, und was essen wir jetzt?«, denkt mein Sohn, praktisch wie er ist, zunächst mal an seinen Magen. Der kommt ja ganz auf seinen Vater.
»Das ist mir so was von scheißegal!«, brülle ich, lasse alle stehen und stürme aus dem Haus.
Als ich die Haustür zuknalle, fällt mir auf, dass es wieder die Originaltür ist und ich ohne Schlüssel auf der Straße stehe. Sehr schlau, Andrea. Was nun? Klingeln und reumütig den Schlüssel holen? Während ich überlege, wie ich das taktisch am Geschicktesten deichseln könnte, öffnet sich die Tür. Es ist Rudi.
»Isch wollt nur korz nach dir sehn. Es geht dir net gut, gell?«, fragt er, guckt mich mitleidig an und breitet seine Arme aus.
Das wird ja bald zum Ritual. Ich lasse mich in seine Arme fallen und beginne, wie auf den sprichwörtlichen Knopfdruck hin, zu weinen. Was zaghaft beginnt wird zum Sturzbach. Ich weine und weine und Rudi streicht mir sanft über den Rücken. Ohne Fragen. Einfach nur Trost pur. Als ich mich halbwegs beruhigt habe, reicht er mir ein Taschentuch. Das ist das Erstaunliche bei Männern dieser Generation: Sie haben immer ein Taschentuch parat.
»Wenn de reden willst, ich bin immer för dich da, musst aber net reden. Wie de magst!«, flüstert er mir zu.
Rudi ist wunderbar. Jede Frau sollte einen Rudi haben. Einen der nicht ständig fragt und nervt, sondern einfach nur mal da ist. Uneigennützig seine Arme ausbreitet.
»Was esst ihr denn jetzt?«, schniefe ich.
»Ach, Andrea, mir verhungern schon net. Isch glaub, de Christoph wollt Pizza bestelle.«
Da sieht man mal, wie weit es schon mit mir ist. Obwohl ich die Schnauze so was von voll habe, fragt sich gleich die besorgte Mutti in mir, ob die Familie nicht verhungern wird, nur weil ich mich einmal im Abendessenstreik befinde.
»Ich muss noch mal rein. Ich habe den Schlüssel vergessen. Aber das ist mir peinlich. Was mach ich denn jetzt?«, bitte ich meinen Schwiegervater um Rat.
»Sorg disch net, isch hol en dir. Brauchst de sonst noch was, Herzscher? Und, Andrea, wo willst de denn hin? Willst de net wieder mit reinkomme?«
Ich zögere. Wo soll ich so spontan in diesem Aufzug hin? Aber jetzt einfach wieder reingehen – so souverän fühle ich mich nicht. Ich habe keine Lust, vor Christoph rumzuheulen. Und die Nudeln soll er schön auch selbst aufsammeln.
»Rudi, ich mag nicht rein, jedenfalls jetzt nicht. Ich bin zu aufgewühlt. Tust du mir einen Gefallen und holst meinen Schlüssel, meine Handtasche und mein Handy? Ich warte am Auto.«
»Wenn de meinst, mache mer des so. Soll ich Christoph was sagen?«, fragt er noch vorsichtig.
»Nein, Rudi, nein. Auf keinen Fall. Du sagst gar nichts. Kein Wort.«
»Schon gut, resch dich net uff! Ich sach nix«, verspricht er mir.
Bei Rudi bin ich mir sicher, dass er Wort hält. Rudi ist grundehrlich. Er ist ein Mann, der hält was er verspricht. Ich erkläre ihm, wo er was findet. Ich habe zwar noch keinen Schimmer, wohin ich fahren werde, aber selbst wenn ich nur um den Block kurve, zurück gehe ich jetzt auf keinen Fall.
Bis auf Rudi scheint es in meiner Familie ja auch niemanden zu interessieren, wohin ich gehe. Hätte mir ja auch mal einer von den anderen hinterher rennen können. Aber wieso auch. Christoph hat die Essensfrage – mit einer Pizzabestellung – ja gelöst und für mehr
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