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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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beängstigenden Totenstarre erlöst er sich plötzlich selbst. Er schüttelt sich wie ein Mensch, der in einen Sturzregen gekommen ist und nun ein trockenes Haus betritt. Der schwarze Mann lächelt und geht fließenden Schrittes auf seinen Hut zu, den er ein paar Schritte von dem Podest entfernt auf den Boden gestellt hat. Er bückt sich, hebt den Hut auf, konzentriert sich aufs Neue... und verfällt wieder in diese maschinenmäßige Starre, stoppt selbst seinen Lidschlag.
    Man klatscht, scheu, aber unüberhörbar. Von allen Seiten strömen weitere Zuschauer herbei, Kinder wie Erwachsene, die etwas Geld in den Hut werfen wollen. Währenddessen aber fallen immer wieder scheue Blicke auf diese menschliche Absonderlichkeit, die den Hut in ihrer weiß behandschuhten Hand hält. Jedes Klingen im Hut quittiert der Maschinenmensch mit einem entsprechenden Stirnrunzeln, das man von automatischen Puppen kennt, deren Gummihaut zu diesem Zweck von stählernen Rollen ge- und entspannt wird. Man meint, das Summen der kleinen Motoren geradezu hören zu können, die diese Bewegung ermöglichen. Im Hintergrund brandet jetzt lauter Jubel auf.
    Die Inkas haben gerade ein Lied und einen wilden Tanz beendet. Ihre Zuschauer sind ebenfalls begeistert, aber auf eine ganz andere Art, als die Zuschauer des Maschinenmenschen. Ein Gruß aus den fernen kalten Anden, gefüllt mit der schier unaussprechlichen Sehnsucht Jahrhunderte lang unterdrückter Menschen stößt auf diesem Kirchplatz mit der faszinierten Resignation zusammen, der gefälligen Erstarrung darob, dass die Menschen den Kampf gegen ihre eigenen selbstgebauten Helfer vielleicht schon verloren haben, gegen Maschinen und Computer.
    Erna sieht Gemal an und ahnt bereits, was hinter seiner Stirn vor sich geht. Für den Abend sind sie zu einer Hochzeitsfeier eingeladen. Ferm und Sandra heiraten. Beide zum zweiten Mal. Dieses Mal aber bewusster, wie das eben auch üblich ist in einer Szene, die psychobeleckt im zweiten Drittel des Lebens das Steuer noch einmal ganz herumreißen möchte. Und natürlich soll auch die Hochzeitsfeier bewusst gefeiert werden, was zur Folge hat, dass alle Gäste sich dem Zwang ausgesetzt sehen, wenn nicht Nützliches, so doch ganz bestimmt Bewusstes zu schenken, Originelles, Ausgefallenes, selbst auf die Gefahr hin, dass es sich um völlig Überflüssiges handeln könnte.
    Gemal tritt an den Maschinenmenschen heran, als die Schlange der Geldbringenden abreißt. Er bietet ihm ein Engagement für den Abend an. Ob er sich vielleicht, so gegen 22 Uhr, in der Rue de Rice Nr. 21 einfinden könnte. Alles Weitere würde sich schon finden. Der Maschinenmensch entspannt sich. Jetzt, wo sie vor ihm stehen, fällt ihnen auf, wie klein er in Wirklichkeit ist. Höflich sagt er zu. Mit einer zierlichen Bewegung zieht er eine weiße Karte aus der Tasche, auf der in goldenen kleinen Lettern steht:
     
    EMILIO SANTES
    Maschinenmensch
    Curiose Darstellungen
    bei Tag und Nacht
    Tel. Strasbourg 41847
     
    Erna fragt vorsichtig: "Was wird das kosten?"
    Der Maschinenmensch antwortet mit angenehmer Stimme: "Nun, sagen wir, 2oo Francs müsste ich schon nehmen."
    Erna nickt. Der Preis geht in Ordnung.
    "An was haben Sie gedacht?", fragt er. "Was soll ich darstellen?"
    "Einen Bräutigam!" , antworten Erna und Gemal wie aus einem Munde.
    Sie blicken sich erstaunt an. Die plötzliche Übereinstimmung überrascht sie selbst.
    "Einen Bräutigam", wiederholt der Maschinenmensch langsam und genüsslich. "Ja, das könnte gehen", fügt er schließlich nach einigem Nachdenken hinzu. Und: "Erzählen Sie mir etwas über den wirklichen Bräutigam."
    Gemal und Erna stehen etwas hilflos da. Was war da zu sagen? Ferm (den sie beide besser kannten als Sandra) ist schon einmal verheiratet gewesen. Diese erste Ehe ging auf eine elende Art auseinander, so, als wäre alles eine Täuschung gewesen, was vor 15 Jahren zu dieser Ehe geführt hatte. Gemal und Erna trafen sich oft mit ihm und sprachen mit ihm in dieser Zeit der Trennung über Brigitte, seine erste Frau. Immer wieder sagte Ferm damals jedem, der es hören wollte und auch denen, die es nicht hören wollten: "Ich halte das nicht aus."
    Es ging um Brigittes unmissverständlichen und unaufhebbaren Beschluss, sich anderen Männern als Ferm intensiv und intim zu widmen. Das Leben begann. Sie blühte hektisch und heftig auf. Es war alles so toll. Ferm fand es nicht so toll. Aber er konnte sich Brigitte gegenüber nicht durchsetzen. Sie machte, was sie

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