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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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... und drehst es ganz langsam um!" Ich konnte nicht mehr weitersprechen. Ich stotterte, und Tränen liefen mir über die Wangen. So fühlt sich das also an, dachte ich, wenn man sich größer macht, als man ist, jedenfalls dann, wenn es mit der Größe vorbei ist. Ist das das Schicksal aller Magier, die vom wahren weg abgekommen sind?
    Louisa sagte einigermaßen betroffen: "Das habe ich nicht gewusst." Sie verschob ihren Ausflug um drei Stunden.
    Am Abend war ich allein. Ich konnte nicht denken, von arbeiten ganz zu schweigen. Ich konnte nicht sprechen. Ich war vor Kummer verstummt. Mein Gehirn fühlte sich wie tiefgekühlt an. Als Louisa gegen 24.00 Uhr zurückkam, hatte ich meine Sprache noch nicht richtig wiedergefunden. Ich stotterte immer noch. Das war mir noch nie passiert. Es war mir peinlich.
     
    4. Oktober
    Die Sprachstörung ging nur langsam zurück. Auch ein Rest dieses verdammten Schmerzes im Magen war geblieben. Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten.
    Die Spiegel machten mir immer mehr Angst. Aber ich wollte meine Reise fortsetzen und den Becher des Schmerzes bis zur Neige leeren. Nicht, weil ich heiß auf Schmerzen bin, sondern weil ich sehen wollte, was sich auf seinem Grund befand.
    Der Steuercomputer ließ die Motoren der Spiegel leise singen. Als die Spiegel gerichtet waren, erkannte ich in ihren Tiefen wieder den Samurai. Er blickte mich gehetzt aus dem Dunkelgrün heraus an. Vorwurfsvoll hielt er mir die gefesselten Hände entgegen. Dann zuckte er resigniert die Schultern und machte sich wieder auf seinen einsamen Weg durch die Wüste.
    Ich schrie ihn an. Ich schrie in den Spiegel, in dem ich das Bild des mutlos wandernden Samurai sah. Und seltsam. Er schien mich zu hören. Einen Augenblick lang stand ich der Vision gegenüber. Es war wie in den Kindertagen, wenn wir dem Kasperle zuriefen: "Die Hexe, die Hexe steht hinter dir!" Und Kasperle sich um sich selbst drehte und die Hexe suchte.
    Ich schrie: "Warum läufst du in Fesseln daher? Warum wirfst du das verdammte Tuch nicht ab?"
    Der Samurai antwortete nicht. Die Vision führte mich durch eine Wüste, bis ein Bergzug am Horizont erschien und die Strahlen der Morgenröte wie rote Speere in den Himmel stachen. Dann sog mich die Vision wieder auf und ich war der Samurai. Im Näherkommen entdeckte ich am Fuße des Gebirges ein Schloss. Offenbar mündeten die Berge in ausgedehnte Waldzüge. Die Grenze zwischen Wald und Wüste wurde von dem Schloss bewacht. Es war die erste menschliche Behausung, die ich auf meiner Wanderung entdeckte. Es erhob sich über mir so hoch, dass es mit seinen obersten Spitzen die Wolken zu kitzeln schien. Ich wollte dort nicht mit gefesselten Händen ankommen. Ich suchte die Felswände ab. Tatsächlich fand ich ein paar fast senkrechte Felsfalten, deren Kanten hart und scharf genug waren, um den Stoff der Fesselung zu durchtrennen. Die Fessel bestand nur aus Seide. Für mich waren es stählerne Ketten. Sicher, es kostete noch einige Anstrengung. Aber die Anstrengung für die Befreiung stand in keinem Verhältnis zu der Anstrengung, die die Fesselung für mich bedeutete. Trotzdem wurde der Augenblick der Befreiung durch eine eigenartige Rührung getrübt, die mich durchlief. Es ist wohl so: Wenn Ketten brechen, fließen Tränen.
    Eine junge Frau, die mir aus dem dunklen Torbogen entgegentrat, streckte mir ihre Arme entgegen. Sie schien mich sehnlichst erwartet zu haben. Aber ich kannte sie nicht, was mir irgendwie peinlich war. Hatte ich Gedächtnisstörungen? Sie lachte mich an und sagte: "Ich heiße Monvera, erkennst du mich nicht?"
    War ich hier schon einmal gewesen? Ich erinnerte mich nicht. Sie umarmte mich heftig. Ich roch sie, und sie roch gut, wenn auch fremd. Ihre langen Haare waren mit einem schwarzen Tuch zu einem dicken Zopf verflochten, der wie ein Seil über ihren Rücken fiel. Ihre Lippen legten sich sanft und weich auf die meinen, sie öffnete sacht meinen Mund und biss mir leicht in die Zunge. Ich war glücklich. Ob ich hierhin wollte, wusste ich nicht, aber ich wusste, dass ich hier so schnell nicht mehr weg wollte.
    Sie zog mich zum Tor, und wir betraten die Burg. Innen wirkte alles dunkler und geheimnisvoller als draußen, allerdings auch ein wenig muffig und feucht. Die in einem Fünfeck um den Innenhof angeordneten Gebäude waren so hoch gebaut, dass die Sonnenstrahlen nur um die Mittagszeit ins Zentrum des Hofes fallen konnten. Ein mystischer Ort. In meiner Freude fasste ich Monvera an den

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