Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
habe ich dich überall gesucht, weißt du das?«
Caelian rollte fahrig das Pergament zusammen, in dem er gerade gelesen hatte. »Nein, woher denn?«
»Was machst du hier? Bist du ein Bücherwurm geworden?«
»Wer hat dir gesagt, dass ich hier unten bin?«
»Der alte Auron, wer sonst? Oder sollte es etwa ein Geheimnis bleiben?« Gaidaron trat an den Tisch heran und nahm sich eine Schriftrolle. »Inthronisierung Semirons des Dritten aus der Dynastie Fenraond«, las er vor. Er ließ die Rolle verächtlich auf den Tisch zurückfallen. »Seit wann interessierst du dich für die Geschichte unseres Landes? Semiron, der muss mindestens seit fünfhundert Jahren tot sein.«
»Ein Auftrag von Suthranna«, entgegnete Caelian knapp.
»Weswegen beauftragt er nicht den Alten, wenn er über die frühen Könige Auskunft haben will?«
»Frage ihn doch selbst.« Caelian raffte die Rollen zusammen. »Ich muss jetzt weiterlesen. Wenn du mich bitte allein lassen würdest?«
Gaidaron ließ sich auf den anderen Stuhl fallen und wischte die Pergamente mit einer brutalen Handbewegung vom Tisch. »Du weist mich hinaus? Du kleiner, unbedeutender Giftmischer! Du willst dich wohl bei Suthranna einschmeicheln, aber vergiss nicht, dass ich seine rechte Hand bin, nicht du.«
Caelian stand auf und sammelte die Rollen wieder ein. »Wir reden heute Abend. Jetzt muss ich arbeiten.«
»Wann wir reden, bestimme immer noch ich. Oder glaubst du, zwischen uns hätte sich etwas geändert, weil du mit diesem Sonnenpriester …« Gaidaron spuckte aus. »… mit diesem albernen Schönling unterwegs warst? Hast dich wohl in ihn verguckt? Na, wenn es so ist, dann rate ich dir, ihn sehr schnell zu vergessen, denn du gehörst mir und wirst mir immer gehören, das weißt du.«
Caelian packte die Rollen auf den Tisch und sah Gaidaron an. Den schönsten Mann im Mondtempel, wie es hieß, aber auch stolz, rücksichtslos und brutal. Gaidaron respektierte nur Suthranna, und selbst dieser musste ihn an seiner Seite dulden, denn dem Neffen des Königs schlug man nichts ab.
Caelian war Gaidaron verfallen, seit er den Tempel betreten hatte. Er sah fantastisch aus, hatte trotz allem Charisma und bevorzugte ausgefallene Liebesspiele, die Caelian gefielen. Doch im Laufe der Zeit hatte Gaidaron die Unterwerfungsrituale auch auf den Alltag ausgedehnt. Caelian durfte keinen eigenen Willen mehr äußern, er musste jederzeit für ihn bereit sein und alles erdulden, was Gaidaron sich für ihn ausgedacht hatte. Oftmals hatte Caelian diese Selbstaufgabe genossen. Der Gewalt, die von Gaidaron ausging, seiner Lüsternheit und Wildheit hatte er sich gern hingegeben, auch im Alltag. Aber wie es mit der Lust nun einmal bestellt war: Sie verlangte nach immer stärkeren Reizen, nach immer mehr Übertretungen des Erlaubten, und Caelian begann, sich Gaidaron zu widersetzen. Dann musste er darum betteln, geschlagen zu werden, und Gaidaron schlug ihn mit Stricken, die kaum Spuren auf der Haut hinterließen, aber abscheulich wehtaten. Danach nahm er ihn, streichelte und küsste ihn, und Caelian vergaß in seinen Armen alle Schmerzen.
Doch dann kam der Tag, an dem er sie nicht mehr vergaß, der Tag, an dem er sie zu fürchten und Gaidaron zu hassen begann. Er versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen, aber Gaidaron ließ ihn nicht aus den Fängen. Caelian war zu seinem Besitz geworden.
»Du irrst dich, Gaidaron, ich bin nicht dein Eigentum. Nicht mehr. Und nun geh, sonst melde ich deine Zudringlichkeit Suthranna.«
Gaidaron lächelte zynisch. Caelians Widerstand war genau das, was er brauchte. »Hat man dir auf deinem Ausflug etwa Flausen in den Kopf gesetzt, du kleines weibisches Ferkel? Denn das bist du doch, nicht wahr? Wiederhole es!«
Caelian hatte solche Auftritte schon oft erlebt. Es begann mit Demütigungen, dann folgte Gewalt, und es endete mit Umarmungen. Aber jetzt sah er eine Möglichkeit, sich von Gaidaron zu befreien. Suthranna hatte ihm eine Aufgabe gegeben, er durfte Jaryn nicht im Stich lassen, den schönen, aber so fehlgeleiteten jungen Priester. Caelian fühlte sich gebraucht, von Suthranna geschätzt, während Gaidaron auf ihn herabsah. Er tat das, weil er sich ihm nie verweigert, weil er Liebe bei ihm gesucht hatte, die sein Vater ihm nie hatte geben können. Aber auch, weil er Achladier war; weil er aus einem Volk stammte, das Gaidaron aus tiefster Seele verachtete.
Caelian nahm all seinen Mut zusammen, um den harten, grauen Augen Gaidarons standzuhalten. »Ich
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