Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)

Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)

Titel: Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
Vom Netzwerk:
entfliehen. Jetzt bog er hinter dem Mondtempel in die schmalen Marktgassen ein, in die schon Rastafan als verkleideter Sonnenpriester geraten war. Zu spät erkannte Jaryn seinen Fehler. Er wollte umkehren, doch von allen Seiten drängelten und schoben sich Menschen vorbei, die nicht mit einem Sonnenpriester in ihrer Mitte gerechnet hatten. Als sie ihn sahen, schrien sie auf und stolperten übereinander, um ihn nicht zu berühren.
    Jaryn floh in eine Nische hinter einer Säule. Einige hatte er gestreift. Sicher, das Wasser der Kurdurquelle hatte das Berührungsverbot aufgehoben, aber galt das auch, wenn er, erkennbar als Sonnenpriester, durch die Straßen Margans ging? Die Leute wussten nichts davon, und er konnte es ihnen nicht erklären. Deshalb war es am besten, er verhielte sich wie immer.
    Nun stand er mit dem Rücken zur Wand und starrte auf das aufgeregte Gewimmel, das sein Erscheinen ausgelöst hatte. Er schämte sich, aber er durfte sich keine Gefühlsregung anmerken lassen. Unbewegt wie eine Statue sollte er sein, denn als Heiliger schaute er nicht auf die Menschen und seine Umgebung, er schaute nach innen, wo er mit seiner eigenen Vortrefflichkeit verkehrte.
    Plötzlich kam Unruhe in die Menge, und die hatte Jaryn nicht verursacht, da er starr und steif in seiner Nische verharrte. Ein Büttel hielt einen jungen Mann am Kragen, der sich verzweifelt wehrte. Er riss ihm ein Bündel aus der Hand und schleuderte es mit angewiderter Miene auf die Straße. Ein paar Äpfel, zwei Laibe Brot und zwei Hemdkittel kullerten heraus. Aber die Sachen gehörten ihm nicht, sie waren gestohlen.
    Diebe waren nirgendwo gern gesehen, in Margan jedoch betrachtete man sie als regelrechte Frevler und ihre Tat als Gotteslästerung, denn in der verbotenen Stadt gab es einfach keine Diebe. So war es ein Ereignis größter Ruchlosigkeit, und der Büttel schrie den Jungen an, weshalb er es nötig habe zu stehlen, ob er keinen Herrn habe, der ihn kleide und ernähre.
    »Nein«, wimmerte der Junge.
    »Wer sind denn deine Eltern?«
    »Tot.«
    »Dann lebst du bei Verwandten?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich habe niemanden.«
    »Niemanden?«, wiederholte der Büttel höchst verwundert, während sich eine Menschentraube um die beiden bildete. »In Margan gibt es niemanden, der niemanden hat, Junge! Also lüg mich nicht an! Wo lebst du? Wie lebst du?«
    »Vom Betteln.«
    Der Büttel sah ihn schief an. »Bist du ein Zylone?«
    »Kenne ich nicht.«
    »In Margan gibt es keine Bettler und keine Landstreicher. Bist du am Ende gar nicht aus Margan?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein, aus Caschu«, sagte er leise.
    »Aha!« Der Büttel gab ihm eine schallende Ohrfeige. »Und wie bist du in die Stadt gekommen?«
    Der Junge wollte weinen, verkniff es sich aber im letzten Moment. Er holte ein Täfelchen aus seinem Kittel hervor, das an einem Band um seinen Hals hing. »Hiermit.«
    Der Büttel drehte es zwischen den Fingern und nahm es genau in Augenschein. »Tatsächlich. Das ist eine Plakette, die dir den Aufenthalt in Margan erlaubt. Nur weshalb sollte das einem Bengel aus Caschu erlaubt worden sein?«
    »Die habe ich vor den Toren gefunden.«
    Durch die Menschenmenge ging ein Stöhnen. Ein Dieb, der sich auch noch den Zutritt nach Margan erschlichen hatte, was konnte es Schlimmeres geben? Vor allem für den Jungen. Jeder wusste, was das bedeutete. Pfahl oder Käfig. In beiden Fällen qualvolles Sterben.
    Jaryn hatte die Szene beobachtet. Er konnte sich nicht erinnern, ob er dergleichen schon einmal erlebt hatte. Das Weltgetriebe um ihn herum war für ihn stets wie ein Schattenspiel abgelaufen: gesichtslose Figuren, die ihn nichts angingen, denen er entrückt war. Doch plötzlich wurde er mitten hineingeworfen in einen Strudel von Entsetzen und Mitgefühl. Weshalb packte der Büttel den armen Jungen so derb am Genick? Was waren das für angstvoll aufgerissene Augen, die ihn anzuklagen schienen? Was geschah hier? Und im selben Augenblick wusste er auch, was mit dem Jungen passieren würde. Er hatte die Gepfählten und die Verhungerten in den Käfigen schon so oft gesehen, aber hatte er sie auch wahrgenommen? Gestalten, die wie Rauchfahnen am Horizont schwebten. Doch dieser Junge war erbarmungslos in sein Blickfeld gerückt, berührte ihn, er konnte dem Geschehen, das nun folgte, nicht mehr ausweichen.
    Mit energischen Schritten ging er auf den Büttel zu. »Lass den Jungen los!«
    Der Mann starrte ihn an, als erblicke er Hexenwerk. Die

Weitere Kostenlose Bücher