Lacunars Fluch, Teil 3: Wüstensöhne
zum Stadttor führt, da hat ein Spaßvogel die alten Doronbüsten aufgestellt. Und nun bleiben die Menschen vor jeder stehen, verneigen sich und murmeln: ›Göttlicher, mögest du ewig leben.‹ Nun ist ja schon dieser Ausspruch sehr seltsam, wo doch jeder weiß, dass Doron nicht mehr unter uns weilt und er deshalb vergebens ist. Doch es herrscht auch ein furchtbares Gedränge, weil alle paar Schritte so eine Figur steht. Die Leute sind nicht begeistert, sie murren, aber sie wagen es nicht, den Köpfen die Ehrerbietung zu verweigern.«
Rastafan hatte mit halb offenem Munde zugehört. Dann brach er in ein stürmisches Gelächter aus. »Komm Saric, gehen wir hinauf zur Dachterrasse. Das muss ich mit eigenen Augen sehen.«
Saric war erleichtert, dass Rastafan die Sache ebenfalls mit Humor nahm. Er folgte ihm nach oben, von wo man die Hauptstraße gut überblicken konnte. Es war schon ein grotesker Anblick, wie die Menschen sich nicht nur langsam und grüßend vorwärts bewegten, sondern es bildeten sich vor jeder Büste Warteschlangen. Sänften, deren Träger ebenfalls ihrer Pflicht nachkamen, hatten die Gefährte mitten auf der Straße stehen lassen. Reiter und Wagen kamen nicht durch. Es herrschte das Chaos, und Rastafan auf dem Dach krümmte sich vor Lachen und schlug sich auf die Schenkel. Schließlich wischte er sich die Lachtränen aus den Augen. »Wie gut das tut!«, rief er aus. »Früher haben wir alle Tage miteinander gelacht. Ich habe mir nicht träumen lassen, mit meinem Befehl so etwas auszulösen.«
»Das war Euer Befehl?«
Rastafan zuckte mit den Schultern. »Ich wusste nicht, wohin mit den Dingern. Und ich dachte, sie gäben eine schmucke Dekoration auf der Prachtstraße ab. Schließlich sind sie teilweise aus kostbarem Material gefertigt.«
Gegen seinen Willen spürte Saric eine Wärme für diesen Mann, dem es gelungen war, den Menschen in Margan durch eine Posse ihre eigene Beschränktheit vorzuhalten. »Wenn ich Euch raten darf, Ihr solltet sie verkaufen. Die adeligen Familien werden sich darum reißen, eine Büste Dorons in ihrem Haus aufstellen zu dürfen. Und den Erlös stiftet Ihr den Armen.«
Rastafan blinzelte. »Welchen Armen? In Margan gibt es keine Armen.«
»Den Armen außerhalb der Stadt vielleicht?«
»Nein, nein, das gäbe nur böses Blut. Schließlich reicht es nicht für alle. Es ist nicht damit getan, einmal gezuckertes Brot zu verteilen, das Problem muss man an der Wurzel packen.«
So reden sie alle, wenn sie etwas weit von sich schieben wollen
, dachte Saric, schwieg aber.
»Deinen Vorschlag mit dem Verkauf werde ich jedoch aufgreifen. Ich werde eine Auktion veranstalten lassen – mitten auf dem Königsplatz.«
»Vielleicht solltet Ihr dabei diskreter vorgehen. Manche könnten so etwas als Sakrileg auffassen.«
Rastafan runzelte die Stirn. »So redet ein Priester. Aber gut. Ich lasse mir die Sache durch den Kopf gehen. Und nun wollen wir dem Spuk da unten ein Ende bereiten.«
Der arme Borrak bekam also den Befehl, alle Büsten wieder einzusammeln und vorerst in einer Lagerhalle abzustellen. Zwei Wachen wurden davor postiert, und erst einmal gerieten die Köpfe in Vergessenheit.
Rastafan jedoch hatte bei dem Stichwort ›Arme‹ gleich wieder an Caschu gedacht. Als er mit Saric wieder in seinem Zimmer saß, wollte er ihm gleich seinen Plan vorlegen. Dieser zeigte ihm erst einmal den überarbeiteten Brief an Lacunar. Rastafan überflog ihn nur flüchtig. »Wird schon so stimmen. Wer kümmert sich um die Briefe?«
»Die Mondpriester. Sie schicken regelmäßig Boten in alle Gegenden Jawendors.«
»Mondpriester? Sieh zu, dass Gaidaron ihn nicht zu sehen bekommt. Er ist zwar rechtmäßig, aber ich will nicht, dass er Grund hat, sich aufzuregen. – Und nun höre zu, Saric. In Caschu …«
»Bitte Herr«, wehrte Saric ab. »Ich kann Euch in dieser Sache nicht raten. Ich bin Euer Sekretär, ich erledige das Schriftliche, aber ich bin nicht Euer Berater. Dazu bin ich zu jung und unerfahren.«
Rastafan wollte ärgerlich auffahren, aber dann sah er ein, dass Saric recht hatte. »Ich habe niemanden, der gebildet ist und dem ich vertrauen kann«, sagte er verbittert.
»Ihr habt niemanden, der Eurem Plan zustimmen würde«, korrigierte Saric.
»Das ist doch dasselbe. Sie halten an der alten Ordnung fest und haben keinen Sinn für das ganz Neue …«
»Was soll das ganz Neue sein?«
Rastafan breitete die Arme aus. »Alles muss sich ändern in Jawendor. Einfach alles. Das
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