Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
Höhlung drang. Kurz darauf verließ er den Raum. Er hatte ihn nicht losgebunden. Natürlich nicht. Er fürchtete seinen Zorn. Rastafan ließ seinen Kopf erschöpft auf die Tischplatte sinken. Überall hatte er Schmerzen und in Händen und Füßen kein Gefühl mehr. Dennoch tat ihm die Erleichterung wohl, die ihn nach Gaidarons Worten durchströmte. Sie hatten die quälende Ungewissheit beseitigt. Rastafan wusste jetzt, worauf er sich einstellen musste, und sah den Dingen schon wieder mit Zuversicht entgegen. Der geistigen Entspannung folgte die körperliche. Bevor er es recht merkte, war er eingeschlafen.
12
Tiyamanai hatte sich auf Gaidarons Anweisung zurückgehalten. Er sollte mit der Befreiung des Büßenden warten, bis der Geruch des Dämons und der Gestank der Unzucht sich verflüchtigt hätten. In Wahrheit wollte Gaidaron zwischen sich und Rastafan erst einmal einen gehörigen Abstand zurücklegen. Dieser hatte zwar zu seinen Bedingungen genickt, aber er war auch für sein aufbrausendes Wesen bekannt. Mit einem vor Wut tobenden Rastafan wollte er keine Bekanntschaft machen. Später, wenn sein Zorn verraucht war, würde er mit ihm reden können, das wusste Gaidaron.
Tiyamanai hatte seine sieben Mitbrüder in den Raum der Geißelung geschickt und kniete vor Morphors Altar. Er betete für die Seele des Gestrauchelten, und dass er von seiner Verworfenheit geheilt sein möge. Schließlich meinte er, lange genug gewartet zu haben. Als er den Raum der Buße betrat, wunderte er sich über ein seltsam auf- und abschwellendes Geräusch, das er sich im ersten Augenblick nicht erklären konnte. Es begann mit einem Seufzen wie ein Wind, der um die Dächer strich, und steigerte sich dann zu einem Schnaufen, wie es ein balzender Auerhahn von sich geben mochte. Zuerst glaubte Tiyamanai, der Dämon befinde sich unsichtbar noch im Raum und wollte sich schon wieder zurückziehen. Doch an der Tür zögerte er und lauschte noch einmal. Dann glitt ein verständnisvolles Lächeln über seine Züge. Die merkwürdigen Laute waren nichts anderes als ein geräuschvolles Schnurren durch die Nase eines Mannes, der den Schlaf des Gerechten schlief.
Die Bußübung hat ihm geholfen, dachte Tiyamanai und rüttelte Rastafan sanft an der Schulter. Wer so schläft, den plagen keine Schuldgefühle mehr. Wie gut, dass er einen so verständnisvollen Freund hat.
Mit einem Knurren erwachte Rastafan und hob den Kopf. Augenblicklich war ihm klar, dass er sich noch in derselben misslichen Lage befand, in der Gaidaron ihn zurückgelassen hatte. Aber da war jemand im Raum. Und eine angenehme, freundliche Stimme fragte ihn: »Hast du gut geschlafen, Bruder? Wie geht es dir jetzt? Wahrlich, du hast dir eine schwere Buße ausgesucht. Lasteten deine Verfehlungen denn so schwer auf deinem Gewissen?«
Träumte er noch? Rastafan begriff nichts von dem, was der Mann sagte. Und wozu stellte er ihm Fragen, wenn er doch nicht antworten konnte?
»Nun, deine Leiden sind vorüber«, fuhr der Mann fort. »Ich werde dich jetzt losbinden.« Er machte sich an seinen Fußfesseln zu schaffen.
Nimm mir zuerst das Tuch und den Knebel ab!, wollte Rastafan schreien, aber außer einem stoßweisen Stöhnen brachte er nichts zustande. Dennoch streckte und beugte er mit Behagen die Beine.
»Gleich geht es dir besser«, versprach der Mann. Dann endlich entfernte er das Tuch, und Rastafan konnte zum ersten Mal seine Umgebung erkennen. Als er sich jedoch nach dem Mann umdrehen wollte, erfasste ihn ein übles Schwindelgefühl.
»Ich bin Tiyamanai«, sagte der Mann, trat vor ihn und begann, ihm die Hände loszubinden. Rastafan sah einen Mann, der einen zerschlissenen Kapuzenmantel trug. Fettige, schulterlange Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, das mit schwarzen Schlieren bedeckt war. Das musste ein Zylone sein.
Sobald seine Hände der Fesseln ledig waren, befreite sich Rastafan selbst von dem Knebel, aber seine Finger waren taub und so steif, dass er sie kaum bewegen konnte. Alle Gelenke schmerzten. Mühsam richtete er sich auf und stützte sich mit den Händen an der Tischkante ab. Aber als er stehen wollte, brach er zusammen.
Tiyamanai hatte es geahnt und ihn aufgefangen. »Komm, stütze dich auf mich, Bruder.«
»Durst. Ich habe Durst. Bring mir Wasser«, krächzte Rastafan. Sein Rachen fühlte sich wund an.
»Du wirst Wasser bekommen. Alle haben nach ihrer Buße großen Durst. Aber jetzt musst du mit mir kommen. Du musst eine Weile ruhen.«
»Wo bin ich hier? Wohin
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