Lady Chatterley (German Edition)
schrieb es dem Kind zu. Er dachte, was Connie fehle, sei, daß sie kein Kind hatte, keines automatisch hervorbringen konnte, sozusagen.
«Ich hab Sie durch den Park zum Eisentor gehen sehen, Mylady», sagte Mrs. Bolton, «und da hab ich gedacht, Sie gehen am Pastorat vorbei.»
«Fast hätte ich es getan, aber dann ging ich doch nach Marehay.»
Die Augen der beiden Frauen trafen sich: Mrs. Boltons grau und hell und forschend; Connies blau und verschleiert und seltsam schön. Mrs. Bolton war fast sicher, daß sie einen Geliebten hatte, doch wie konnte das sein und wer konnte das sein? Wo gab es denn einen Mann?
«Oh, es tut Ihnen so gut, wenn Sie mal rauskommen und unter Menschen gehen», sagte Mrs. Bolton. «Ich sagte schon zu Sir Clifford, daß es so gesund für Euer Gnaden wäre, mehr unter die Leute zu kommen.»
«Ja, ich bin froh, daß ich hingegangen bin – es ist so ein putziges, süßes, freches kleines Ding, Clifford», sagte Connie, «seine Haare sind genau wie Spinnenweben und hellorange, und es hat die komischsten, unverschämtesten blaßblauen Porzellanaugen. Natürlich ist es ein Mädchen, sonst würde es nicht so verwegen sein – verwegener als jeder kleine Sir Francis Drake.»
«Sie haben recht, Mylady – eine richtige kleine Flint. Die waren schon immer eine unternehmungslustige, fuchsköpfige Familie», sagte Mrs. Bolton.
«Möchtest du das Kind sehen, Clifford? Ich hab sie zum Tee eingeladen, damit du es dir anschauen kannst.»
«Wen?» fragte er und sah Connie unbehaglich an.
«Mrs. Flint und das Baby, nächsten Montag.»
«Du kannst mit ihnen in deinem Zimmer Tee trinken», sagte er.
«Ja, aber willst du denn nicht das Kind sehen?» rief sie.
«Schon, aber ich habe keine Lust, eine ganze Teestunde mit ihnen zu verbringen.»
«Ach so», sagte Connie und sah ihn mit weiten, verschleierten Augen an.
Sie sah ihn nicht wirklich, er war jemand anders.
«Sie können oben in Ihrem Zimmer sehr hübsch und gemütlich Tee trinken, Mylady, und Mrs. Flint wird dann unbefangener sein, als wenn Sir Clifford dabei wäre», sagte Mrs. Bolton.
Sie war sicher, daß Connie einen Liebhaber hatte, und irgend etwas in ihr frohlockte. Aber wer war es? Wer war es? Vielleicht würde Mrs. Flint ihr einen Anhaltspunkt geben.
Clifford fühlte sich sehr unbehaglich. Nach dem Essen wollte er sie nicht gehen lassen, und sie hatte sich so sehr gewünscht, allein zu sein. Sie sah zu ihm hinüber, war aber seltsam unterwürfig.
«Wollen wir irgend etwas spielen, oder soll ich dir vorlesen, oder was wollen wir machen?» fragte er befangen.
«Lies mir etwas vor», sagte Connie.
«Was soll ich lesen – Verse oder Prosa? Oder ein Stück?»
«Lies aus Racine», schlug sie vor.
Das war früher seine große Kunst gewesen: Racine zu lesen auf die richtig französisch große Manier; aber er war eingerostet jetzt und befangen; der Lautsprecher war ihm im Grunde viel lieber. Und Connie nähte, nähte ein Kleidchen aus primelfarbener Seide für Mrs. Flints Baby; den Stoff hatte sie aus einem ihrer Kleider herausgeschnitten. Sie hatte ihn herausgeschnitten zwischen dem Heimkommen und dem Abendessen, und jetzt saß sie dort, weich, still, in sich versponnen, und nähte, indes das Geräusch des Lesens an ihr vorbeiging. In ihrem Innern spürte sie das Summen der Leidenschaft wie den Nachhall tiefer Glocken.
Clifford sagte etwas über Racine zu ihr. Sie erfaßte erst, was er meinte, als sein Satz verklungen war.
«Ja, ja!» sagte sie und sah zu ihm auf. «Es ist wunderbar.»
Wieder erschrak er vor dem tiefen blauen Schleier in ihren Augen und vor der sanften Stille, in der sie da saß. Niemals war sie so vollkommen still und sanft gewesen. Sie nahm ihn gefangen, machte ihn ganz hilflos – wie wenn irgendein berauschender Duft von ihr ausginge und ihn trunken mache. Hilflos las er weiter, und der kehlige Klang seines Französisch war wie der Wind im Kamin für sie. Nicht eine Silbe hörte sie von Racine.
Sie war gefangen im sanften Taumel des Glücks, wie ein knospender Wald, der braust im gedämpften, seligen Stöhnen des Frühlings. Sie konnte fühlen, daß in derselben Welt, in der auch sie lebte, der Mann war, der namenlose Mann, daß er dahinging auf schönen Füßen, schön im phallischen Geheimnis. Und in sich selbst, in all ihren Blutbahnen, fühlte sie ihn und sein Kind. Sein Kind war in ihrem Blut wie eine Dämmerung.
«Denn Hände hatte sie nicht, nicht Augen noch Füße, noch
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