Lady Chatterley (German Edition)
etwas zu tun, fühlte Connie, wie der hagere, wohlerzogene alte Herr zusammenzuckte – zusammenzuckte wie ein edler Antilopenbock vor dem gemeinen Starren der Menge draußen vorm Käfig. Die Bergleute brachten ihm persönlich gar keine Feindseligkeit entgegen, durchaus nicht. Doch ihr Sinn war kalt und drängte ihn hinaus. Und tief unten in ihnen regte sich ein unausrottbarer Groll. Sie «arbeiteten für ihn». Und in ihrer Häßlichkeit verargten sie ihm seine elegante, gepflegte, feingebildete Existenz. «Wer ist er denn schon!» Es war dies Anderssein, was sie so verdroß.
Und irgendwo, in einem geheimen Kämmerchen seines englischen Herzens, glaubte er, der viel von einem Soldaten hatte, daß sie recht hatten, wenn dieser Unterschied ihren Groll erregte. Und daß er selbst ein wenig im Unrecht sei, da er all die Vorteile genieße. Doch wie immer es sei: er vertrat eine gesellschaftliche Ordnung, und er würde sich nicht hinausdrängen lassen.
Außer vom Tod, der bald nach Connies kurzem Besuch unvorhergesehen an ihn herantrat. In seinem Testament erinnerte er sich Cliffords auf eine generöse Weise.
Die Erben veranlaßten sofort den Abbruch Shipleys. Es kostete zu viel, es aufrechtzuerhalten. So wurde es also abgerissen. Die Eibenallee wurde gefällt. Der Park wurde seines Baumbestandes beraubt und in Baugrundstücke aufgeteilt. Uthwaite war nah genug. In der seltsamen, kahlen Einöde dieses neuen Niemandslandes wuchsen kleine Straßen mit halb freistehenden winzigen Häusern aus der Erde. Sehr begehrenswert! Die Parkkolonie Shipley!
Innerhalb eines Jahres nach Connies letztem Besuch war es geschehen. Da erhob sich die Parkkolonie Shipley, eine Handvoll rotziegeliger, halb freistehender «Villen» an neu angelegten Straßen. Niemand hätte im Traum daran gedacht, daß zwölf Monate vorher dort das Stuckschlößchen gestanden hatte.
Doch das war ein späteres Stadium der Landschaftsgärtnerei König Eduards, jener Art, die sich der Errichtung von Zier-Kohlenbergwerken auf dem Rasen widmete.
Das eine England löscht das andere aus. Das England der Squire Winter und Wragby Hall war vorüber, tot. Es war nur noch nicht vollständig ausgelöscht worden.
Was würde danach kommen? Connie konnte es sich nicht vorstellen. Sie konnte nur sehen, wie die neuen Backsteinstraßen sich in die Felder hineindehnten, wie die neuen Bauten bei den Gruben immer höher stiegen, wie die neuen Mädchen in ihren Seidenstrümpfen und die neuen Bergmannsburschen zum Tanzcafé oder ins Arbeiterheim schlaksten. Die jüngere Generation wußte nicht das geringste mehr vom alten England. In der Kontinuität des Bewußtseins war eine Lücke, eine fast amerikanische; doch in Wirklichkeit nur eine industrielle. Was würde danach kommen?
Connie war es immer, als gebe es kein Danach. Sie hatte den Wunsch, den Kopf im Sand zu vergraben oder doch an der Brust eines lebendigen Mannes.
Die Welt war so kompliziert und unheimlich und grausig. Das einfache Volk zählte so viele Köpfe und war wirklich so schrecklich! So dachte sie, als sie heimfuhr und die Grubenarbeiter von den Zechen nach Hause trotten sah – grauschwarz, verkrümmt, eine Schulter höher als die andere, mit den schweren, eisenbeschlagenen Schuhen schlurfend. Unterirdisch graue Gesichter, mit rollenden Augäpfeln, die Nacken gebeugt von der Stollendecke, die Schultern verrenkt. Männer! Männer! Schon wahr, in einer Hinsicht geduldige, brave Männer. In anderer – nonexistent. Etwas, das zu Männern gehörte, war aus ihnen herausgezüchtet und getötet. Doch sie waren Männer. Sie zeugten Kinder. Man konnte ihnen ein Kind gebären. Entsetzlicher, entsetzlicher Gedanke! Sie waren gut und freundlich. Doch sie waren nur halb, nur die graue Hälfte eines menschlichen Wesens. Bis jetzt waren sie «gut». Doch auch das war nur die Güte ihrer Halbheit. Daran zu denken, daß vielleicht einmal das Tote in ihnen sich erhob! Nein, es war zu entsetzlich, sich das auszumalen. Connie hatte ausgesprochen Angst vor den Industriemassen. Sie waren ihr so unheimlich . Ein Leben so ganz ohne Schönheit, ohne Phantasie, nur immer «in der Grube».
Kinder von solchen Männern! O Gott! O Gott!
Und doch hatte Mellors einen solchen Vater gehabt. Nein, nicht ganz. Vierzig Jahre hatten einen Wandel geschaffen, einen erschreckenden Wandel der Männer. Eisen und Kohle hatten sich tief in die Körper und Seelen der Männer hineingefressen. Fleischgewordene Häßlichkeit! Was würde aus ihnen allen noch
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