Lady Chesterfields Versuchung
anderen Gentleman zum Heiraten findest. Vielleicht jemanden, den du bei den Kreimelns kennenlernst und der von dem Skandal nichts weiß.“
Er wünschte, dass sie die Wahrheit verschwieg. Hannah war unbehaglich bei dem Gedanken.
„Ich habe die Diener bereits angewiesen, deine Koffer zu packen“, fügte der Marquess hinzu. „Quentin begleitet dich zum Schiff, und Graf von Reischor hat versprochen, für den Rest der Reise auf dich aufzupassen.“
Der Botschafter? Hannah fiel ein, dass der Lieutenant gesagt hatte, er begleite den Grafen nach Lohenberg. Ganz bestimmt wusste ihr Vater davon nichts.
Vermutlich ging es Lieutenant Thorpe umgekehrt genauso. Hannah unterdrückte ein Zittern und fragte sich, ob sie es überhaupt wagen konnte, die Reise gemeinsam mit ihm anzutreten. Denn selbst mit einer ganzen Heerschar von Dienern, die sie beaufsichtigen würden, musste sie Angst haben, erneut Opfer ihrer eigenen Schwäche zu werden. Der Lieutenant hatte etwas in ihr zum Leben erweckt, das zu stark war, als dass sie es in Schach halten konnte, und sie fürchtete, dass sie sämtliche Gebote ihrer Erziehung über Bord werfen würde, wenn sie mehr Zeit mit ihm verbrachte.
Der Marquess ging zur Tür und öffnete sie. „Morgen früh sprechen wir über die Einzelheiten deiner Reise.“
Damit war sie entlassen. Hannah sagte ihren Eltern Gute Nacht und kehrte auf ihr Zimmer zurück. Auf dem Frisiertisch fand sie eine weitere Liste ihrer Mutter vor.
1.Das rosafarbene Kleid und die cremefarbenen Handschuhe tragen.
2.Die Diener überwachen, wenn sie deine Sachen packen.
3.Abschiedsbrief an deine Freundin schreiben.
Den letzten Punkt hätte sie in der Aufregung sicherlich vergessen, und der Gedanke, Amanda, die mit ihrem Gatten Edward und ihren zauberhaften Kindern in Mayfair lebte, vielleicht für lange Zeit nicht mehr wiederzusehen, schmerzte sie.
Doch es war unmöglich, Amanda alles in einem Brief zu erklären. Vielmehr wollte sie ihr morgen einen Besuch abstatten und persönlich Auf Wiedersehen sagen.
Ihre Zofe half ihr aus dem Kleid und schnürte das Korsett auf. Dann legte sie das Nachthemd bereit. „Lady Hannah, ich bin ganz bestürzt über das, was gestern Nachmittag geschehen ist. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was Sie erdulden mussten.“
„Danke, Estelle, aber jetzt ist es vorbei.“ Hannah lächelte beruhigend. „Ich muss Belgrave nie wiedersehen.“ Sie wollte nicht länger an die Vergangenheit denken.
Nachdem sie das Mädchen für die Nacht entlassen hatte, kletterte sie ins Bett, deckte sich zu und versuchte noch ein wenig zu lesen. Sie hatte sich ein Buch von Goethe aus der Bibliothek ihres Vaters geholt, um ihr Deutsch zu verbessern. Doch sie schaffte es nicht, sich zu konzentrieren. Ständig schweiften ihre Gedanken zu Lieutenant Thorpe. Der Zufall wollte es, dass sie zwei Nächte auf dem Schiff und eine weitere in einer Kutsche verbringen würden, bevor sie den Wohnort ihrer Verwandten in Deutschland erreichte.
Es wäre ein Leichtes, sämtliche Gebote der Schicklichkeit zu vergessen und sich stattdessen dem wonnevollen Verlangen hinzugeben, das er in ihr geweckt hatte. Aber sie war immer noch unberührt, trotz des Skandals, und es gab keinen Grund, es nicht dabei zu belassen.
Schluss jetzt, befahl sie sich. Es war Zeit zu schlafen. Hannah nahm ihr Kissen, um es aufzuschütteln, und spürte, wie etwas Kaltes, Hartes ihre Finger streifte. Als sie im nächsten Moment das funkelnde Diamanthalsband entdeckte, beschleunigte sich ihr Herzschlag. Demnach war der Lieutenant in ihrem Zimmer gewesen, ohne dass ihn jemand bemerkt hatte. Gleich einem guten Geist, der auf sie achtgab – wie er es versprochen hatte.
Hannah legte das Collier in ihre Schmuckschatulle und fragte sich, wie und wann es dem Lieutenant gelungen sein mochte, unbemerkt in ihr Zimmer zu gelangen. Er hatte ihr das Halsband zurückgegeben, ohne ihr noch einmal begegnen zu müssen. Sie stellte fest, dass sie enttäuscht war, doch was hatte sie erwartet? Er war ein gewöhnlicher Soldat und sie eine junge Dame von Stand. Es gab keine gemeinsame Zukunft für sie beide – von einer verbotenen Affäre einmal abgesehen.
Natürlich hatte sie nie an eine solche Möglichkeit gedacht. Michael Thorpe war nicht der richtige Mann für sie. Dabei spielte es keine Rolle, was sie bei seinem Kuss empfunden hatte. Er war nichts weiter als eine verbotene Versuchung – wie das köstliche Schokoladendessert.
Gleichgültig, wie sehr er sie in
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