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Lady in Rot (German Edition)

Lady in Rot (German Edition)

Titel: Lady in Rot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Radley
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lügen?“
    Sein Verstand legte ihm nahe, dass es sich bei Lauras Behauptung um ein Fantasiegespinst handelte. Doch tief in seinem Herzen nagten Zweifel, die sich nicht zum Schweigen bringen ließen.
    Hatte er nicht immer gespürt, dass er anders war?
    Er war in ärmlichen Verhältnissen im Marais aufgewachsen, lange, bevor die Gegend zu einem der vornehmsten Stadtteile von Paris geworden war. In Xaviers Kindheit und Jugend war es einfach eine Ansammlung von schmuddeligen, alten Häusern gewesen, in denen vor allem Handwerker lebten und arbeiteten, umgeben von kleinen Restaurants, engen Gassen und wenigen Läden. Er und seine Mutter wohnten in einer winzigen Mansarde, die ursprünglich für Dienstboten gedacht gewesen war. Doch seine Mutter schuftete unermüdlich, um inmitten dieser ärmlichen Verhältnisse für ihren einzigen Sohn ein gutes Zuhause zu schaffen. Mochte das Haus auch von außen heruntergekommen und trostlos wirken, so war die kleine Wohnung eine Zuflucht. Die Wände sauber und hell gestrichen, die Gardinen immer weiß und makellos. Stets standen eine warme Mahlzeit auf dem Herd und eine Vase mit frischen Blumen auf dem Tisch.
    Sicher, seine Mutter war verbittert gewesen, aber der gelegentlich gespannten Atmosphäre zu Hause konnte Xavier sich leicht entziehen. Nur ein oder zwei Blocks entfernt erreichte er schon Île de la Cité, auf der sich die gewaltige Kathedrale Notre-Dame und La Sainte-Chapelle mit ihren unvergleichlich prachtvollen Buntglasfenstern erhoben. Hier zog es Xavier oftmals nach der Schule hin, und er schwor sich dann, dass er sich eines Tages aus der Armut befreien und ein Leben in Schönheit und Überfluss führen würde.
    Die Mutter trieb den klugen Sohn zum Lernen an, denn „eine gute Bildung ist der einzige Ausweg aus der Armut“, lautete ihr Motto. Außerdem wollte sie ihn so daran hindern, sich mit den anderen Jugendlichen auf der Straße herumzutreiben. Aber Xavier interessierte sich sowieso nur wenig für die Gesellschaft seiner Altersgenossen, die ihn wiederum misstrauisch mieden, weil er sich durch seine Ernsthaftigkeit und Strebsamkeit, ebenso wie durch sein pechschwarzes Haar, den dunklen Teint und die tiefbraunen Augen von ihnen abhob.
    „ Qui est ton père ?“, verspotteten sie ihn gelegentlich, worauf er nur schwieg, weil er nicht wusste, wer sein Vater war. Nie vergessen würde er den angstvollen Ausdruck in den Augen seiner Mutter, wann immer er es wagte, sie nach seinem Vater zu fragen.
    „Er ist ein mächtiger und gefährlicher Mann, der versuchen wird, dich mir wegzunehmen“, antwortete sie dann widerstrebend. „Vergiss ihn, Xavier!“
    Und obwohl Xavier sich vor nichts und niemandem fürchtete, was blieb ihm anderes übrig, als sich den Wünschen seiner Mutter zu fügen, die für ihn alles aufgegeben hatte? Insgeheim hatte er vielleicht gehofft, sie würde mit zunehmendem Alter in diesem Punkt zugänglicher werden, aber vor fünf Jahren war sie dann allzu früh gestorben und hinterließ ihm nichts als einen goldenen Rubinring. Zu Ehren ihres Andenkens hielt Xavier es für angemessen, ihre Geheimnisse mit ihr sterben zu lassen.
    In der Folgezeit hatte er sich eingeredet, dass man manche Dinge besser ruhen ließ und es sogar eine Entlastung für ihn sei, gar nicht erst zu wissen, wer sein Vater war. Und nun tauchte diese Engländerin auf und behauptete, dessen Identität zu kennen!
    Von plötzlichem Zorn übermannt, packte er sie bei den Armen und zog sie zu sich heran – so dicht, dass er den Veilchenduft ihres teuren Parfüms riechen und das Pochen ihres Herzens spüren konnte.
    „Wie kann mein Vater ein Scheich sein, wo ich mit Leib und Seele Franzose bin?“, fragte er heftig. „Was sind das für Märchen?“
    Laura blickte erstarrt zu ihm auf. Seine dunklen Augen glühten, der Duft seines exklusiven Aftershaves stieg ihr in die Nase – benommen schüttelte sie den Kopf. „Es ist kein Märchen. Ich schwöre es!“
    „Warum sollte ich Ihnen glauben?“ Er zog sie noch näher zu sich heran. „Wer hat Sie geschickt?“
    Er war ihr jetzt so nahe, dass sie Mühe hatte, klar zu denken. „Ich handle auf Wunsch des Scheichs, obwohl er sich durch jemand anderen an mich gewandt hat.“
    „Durch jemand anderen?“
    Laura nickte. Wie sollte sie sich konzentrieren, wenn er sie mit seiner erotischen Ausstrahlung derart verwirrte? „Ja … der Scheich ist alt und gebrechlich, weshalb ich mit einem seiner persönlichen Berater verhandelt habe.“ Sie zögerte.

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