Lady in Rot (German Edition)
Beginn ihrer Freiheit sein sollen. Der Tag, an dem alles unterschrieben und verbrieft war, an dem sie die Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Leben anfangen konnte. Stattdessen hatte das Schicksal ihr einen grausamen Strich durch die Rechnung gemacht, und am Ende des langen dunklen Tunnels, in dem sie sich befand, war nirgendwo ein Licht zu entdecken.
„Nein … nein. Du darfst so nicht denken! Lass los!“, ermahnte sie sich selbst.
Emily brauchte diesen einen Tag. Vierundzwanzig Stunden für sich, ehe sie zurückfuhr und sich wieder der Situation stellte. Sie kannte ihre Pflicht, ihre Verantwortung – sie würde sich nicht davonstehlen. Aber sie brauchte Zeit zum Durchatmen.
Das Geräusch der Brandung belebte ihre Sinne. Plötzlich fasste sie neuen Mut – Traurigkeit und Erschöpfung schwanden. Voller Energie stand sie auf und näherte sich dem Wasser – langsam zunächst, dann immer schneller, bis sie völlig ausgelassen in die weiß schäumenden Wellen hineinlief.
„Oooooh!“
Das Wasser war kalt. Eisig. Bei dem sonnigen Wetter hätte sie das nicht gedacht. Ihre nackten Füße prickelten schmerzhaft, sodass sie unwillkürlich zurücktaumelte. Doch ganz allmählich gewöhnte sie sich an die Temperatur.
Und plötzlich war es, als seien die vergangenen Jahre und Monate wie weggeblasen und sie selbst wieder unbeschwert und frei wie ein Kind. Emily warf den Kopf in den Nacken, breitete die Arme aus und lachte der Sonne entgegen, während sie wie wild durch die Wellen tanzte. Ihr blondes Haar flog durch die Luft, Salzwasser schlug gegen die enge Jeans, die sie trug, ihr langärmliges weißes T-Shirt wurde nass, doch sie sprang und lachte, wie sie es seit Jahren nicht mehr getan hatte.
Es spielte keine Rolle, wenn sie dabei vollkommen idiotisch aussah – schließlich war niemand da, der von der verrückten kleinen Szene etwas mitbekam. Der Strand lag verlassen da, weit und breit keine Menschenseele in Sicht. Niemand, der sie sah oder hörte, niemand, der sich um ihr Treiben scherte.
Er konnte nicht aufhören, sie zu beobachten.
Auf der verlassenen Uferpromenade stand ein großer, dunkelhaariger Mann, die Hände in den Taschen vergraben, die Augen gegen die Sonne zu Schlitzen verengt, und beobachtete die Frau am Strand.
Es war ihm unmöglich, seinen Blick von ihr abzuwenden.
Von Weitem hatte er gesehen, wie sie in einem kleinen blauen Wagen von der Stadt hinunter zum Strand gefahren war – gerade schnell genug, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber nicht zu schnell, um vollkommen leichtsinnig zu wirken.
Sie war wunderschön – das stand außer Frage. Mittlere Größe mit schmaler Taille und verführerischen Hüften. Hohe, kleine Brüste zeichneten sich unter dem weißen T-Shirt ab, das sie mit einer abgetragenen Jeans kombiniert hatte. Ihr Haar war hellblond, zu einem kurzen Bob geschnitten, der ihr blasses Gesicht sanft umspielte. Sie sah so ganz anders aus als die sizilianischen Frauen, an die er gewöhnt war.
Ob ihr kühles Äußeres auf ein ebenso kühles Temperament schließen ließ? Wenn er sich ihr näherte, würde sie dann zu Eis erstarren, wie es Engländerinnen so gerne taten? Würde sie ihn hochmütig anblicken, als wolle sie sagen: Kennen wir uns? Ich glaube nicht, dass wir einander vorgestellt worden sind.
Er wusste keine Antwort darauf, aber er war fest entschlossen, es herauszufinden. Ihr den Rücken zuzukehren und davonzugehen, ohne sie jemals kennengelernt zu haben, würde er sich sein Leben lang nicht verzeihen. Seit er sie das erste Mal erblickt hatte, war da etwas, das ihn magisch anzog. Für ihn stand fest, dass er ihre Bekanntschaft machen musste, er musste ihr ins Gesicht sehen, um herauszufinden, ob sie blaue oder graue Augen hatte und wie ihre Stimme klang …
Tief in seinem Innern spürte er, wie sein Verlangen erwachte. Es erinnerte ihn daran, wie lange er schon nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen war – viel zu lange. Als er nach England kam, hegte er nicht die Absicht, es zu romantischen Intermezzi kommen zu lassen.
Die Sache mit Loretta hatte ihm gereicht. Beinahe wäre es ihr gelungen, ihn in die Ehefalle zu locken. Selbst jetzt lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter, wenn er daran dachte, wie sie ihn belogen und ausgetrickst hatte. Der Aufenthalt in England hätte zu keinem besseren Zeitpunkt geplant sein können. Hier konnte er alle Verpflichtungen, die das Leben von Vito Corsentino für gewöhnlich ausfüllten, hinter sich lassen und ganz
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