Lady in Rot (German Edition)
ruhigen, ländlichen Dasein?
Es gab eine Sache, die ihm besonders positiv auffiel – nämlich der komplette Mangel an Fotos von Emily und ihrem Ehemann. Es war beinahe so, als hätte sie den Mann, mit dem sie verheiratet gewesen war, völlig aus ihrem Leben gestrichen. Selbst in dem Einzelzimmer, in dem Emily überraschenderweise schlief, gab es keine Fotografie. Zugleich war es das einzige Zimmer, in dem überhaupt persönliche Gegenstände vorhanden waren. Allerdings fragte er sich, warum sie ausgerechnet diesen Raum für sich ausgewählt hatte, wo ihr doch genauso gut vier große Doppelschlafzimmer zur Verfügung gestanden hätten – insbesondere eines, das einen herrlichen Blick über den großen Garten hinterm Haus bot. Warum schlief sie stattdessen in dieser geradezu schäbigen kleinen Kammer, die nicht mal über ein angrenzendes Bad verfügte?
Vito setzte die Frage auf die bereits lange Liste ungeklärter Dinge, auf die er eine Antwort haben wollte, sobald er mit Emily allein war.
Es würde wirklich verdammt viel geben, worüber sie zu reden hatten.
„So, das ist, denke ich, alles.“
Emily konzentrierte sich ganz auf Joe McKenzie und bemühte sich sehr, ruhig und nüchtern zu klingen. Seit Vito plötzlich wieder aufgetaucht war – also seit ziemlich genau einer Dreiviertelstunde –, glich ihr Leben einer Achterbahnfahrt, und alles in ihrem Kopf drehte sich. Wie sollte sie unter diesen Umständen noch klar denken? Es fiel ihr schon schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
„Am besten kommen Sie mit nach unten, um alles Weitere zu besprechen. Dort können wir auch etwas trinken.“
Vito würdigte sie keines Blickes, ja, sie nahm nicht mal seine Existenz zur Kenntnis, während sie die große Treppe hinunter zum Wohnzimmer voranging. Über die ganze Inspektion des Hauses hinweg war sie sich seiner Anwesenheit überdeutlich bewusst gewesen.
Sie wünschte, sie würde seine Gedanken kennen. Wünschte, sie müsste nicht all das vor seinen Augen tun – einen Teil ihrer schmutzigen Wäsche waschen. Aber sie hegte wenig Hoffnung, dass er sie endlich mit Joe McKenzie allein lassen würde.
Dennoch musste sie es versuchen. Vito folgte ihnen ins Wohnzimmer, wo der Makler bereits Platz genommen und mit einigen Notizen begonnen hatte. Emily stellte sich absichtlich in den Türrahmen und versperrte Vito so den Weg.
„Erwähntest du nicht, dass du gleich einen Termin hast?“, fragte sie scharf. Das begleitende Lächeln setzte sie nur für Joe McKenzie auf. Es strahlte weder Freundlichkeit noch Wärme aus.
„Nein, da musst du dich verhört haben.“
Vitos Lächeln war genauso falsch wie ihr eigenes. Gleichzeitig schien eine Warnung in seinen Augen zu funkeln, sodass sie am liebsten davongelaufen wäre.
„Es gibt da einige Dinge, über die wir uns noch unterhalten müssen …“
Sein abschätziger Blick senkte sich auf ihren Bauch, womit mehr als deutlich war, welche „Dinge“ er meinte. Offensichtlich würde es in diesem Duell nur einen Gewinner geben.
„Aber das kann warten, bis du deine Angelegenheiten mit Mr. McKenzie erledigt hast“, fügte Vito in derart verändertem Tonfall hinzu, dass sie, von dieser scheinbaren Großzügigkeit empört, kräftig schlucken musste.
Wenn sie nicht seinen bedeutsamen Blick auf ihren Bauch gesehen hätte, hätte sie niemals geglaubt, dass es sich nicht um überaus höfliche Rücksichtnahme handelte, die sein Verhalten kennzeichnete. Immer noch völlig verwirrt, starrte sie ihn an, während er ihr die Hände auf die Schultern legte, sie umdrehte und sanft zu einem der Sessel hinschob.
„Was hältst du davon, wenn ich einen Kaffee koche, während du dich auf das Gespräch mit Mr. McKenzie konzentrierst?“
Ich will keinen Kaffee, und ganz bestimmt nicht will ich, dass du ihn kochst! hätte sie ihm am liebsten hinterhergerufen, während er sich bereits auf den Weg zur Küche gemacht hatte.
Doch natürlich konnte sie das nicht – nicht solange sie ein Publikum hatten. Joe McKenzie würde von hier aus direkt zu Marks Familie fahren, und Gerüchte über einen Streit zwischen ihr und einem mysteriösen, überaus attraktiven Italiener wären genau das, was Ruths unbändige Neugier wecken würde. Ihre Schwägerin würde sich wie ein Geier auf die Geschichte stürzen.
Deshalb zwang sich Emily, ruhig sitzen zu bleiben und dem zuzuhören, was Joe über den Zustand des Hauses und die Marktsituation zu sagen hatte. Nicht, dass es wirklich eine Rolle gespielt hätte.
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