Lady Lavinias Liebestraum
mich einfach im Stich! Dabei brauche ich dich mehr denn je.” Sie schaute zu Boden.
“Tust du das wirklich?”, erkundigte er sich mit sanfter Stimme und ergriff ihre Hände. “Warum sollte ich plötzlich so unverzichtbar für dich sein?”
Lavinia zögerte, denn zu antworten fiel ihr aus unerfindlichen Gründen schwer. “Du weißt schon, warum, James. Ich brauche deine Unterstützung. Und Lord Wincote …” Verzagt brach sie ab. Wie sollte sie James erklären, dass die Zukunft sie ängstigte, dass sie in der Gegenwart dieses Gentlemans so befangen und ob ihrer Gefühle gleichermaßen verwirrt wie gelähmt war? Dass sie in seiner Gegenwart kaum einen klaren Gedanken zu fassen vermochte?
“Am Ende kommst du immer wieder auf Lord Wincote zurück”, sagte er in bitterem Ton und ließ ihre Hände los. “Ich wüsste nicht, wie ich dir in dieser Angelegenheit behilflich sein könnte. Ich fürchte, du musst ganz allein zu einer Entscheidung kommen.”
“Wenigstens hat er bislang nicht eine Probe versäumt”, erwiderte sie trotzig.
“Er hat auch gute Gründe.”
“Oh James, was ist nur mit dir geschehen? Nicht Lord Wincotes Gebaren macht mich misstrauisch, sondern deines. Und ich dachte, man könne sich auf dich verlassen …”
“Daran hat sich auch nichts geändert. Nur weil ein Mann hin und wieder seinen Geschäften nachgeht, muss man nicht gleich argwöhnisch werden.” James wusste nur zu gut, dass sie sein Schweigen ihr gegenüber so deutete, dass er Lord Wincote des Diebstahls verdächtigte. Er hoffte inständig, nach seiner Reise für Klärung sorgen zu können.
Eine seltsame Mischung aus Wut und Liebe stieg in Lavinia auf. James zukünftig nicht mehr in ihrer Nähe zu haben nährte ihre zärtlichen Gefühle für ihn nur umso stärker, doch wollte sie sich dies nicht eingestehen. Daher obsiegte die Wut in ihr, zumal es weitaus einfacher war, trotzig zu sein, als sich durch ein Liebesgeständnis verletzbar zu machen.
“Ich habe genug gehört. Geh doch, wenn du unbedingt musst, doch wundere dich nicht, wenn in der Zwischenzeit Mr. Greatorex deine Rolle übernommen hat.”
“Oh, ist er zurück in London?”
“Nein, aber ich rechne jeden Tag mit ihm. Er ist nicht der Mann, der seine Versprechen bricht – im Gegensatz zu manch einem, den ich kenne. Wir können die Proben nicht einfach unterbrechen, um darauf zu warten, dass
Monsieur
von seiner Reise zurückkehrt. Wer ist dieser Freund eigentlich, der dir so wichtig ist?”
“Du kennst ihn nicht.”
“Davon bin ich überzeugt. Vermutlich handelt es sich um irgendein Mädchen. Nun, dann verlier keine Zeit. Leb wohl und vergiss mich einfach!”
“Lavinia …”
“Geh!”
James zuckte mit den Achseln und griff nach seinem Gehrock. Dann ging er hinaus und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Er konnte nicht mehr sehen, wie Lavinia auf den Stuhl sank und herzzerreißend zu schluchzen begann.
8. KAPITEL
D ie Proben schritten zu Lavinias Erleichterung gut voran. Alle Beteiligten arbeiteten zum Glück recht selbstständig an ihrem Part, denn obgleich sie sich große Mühe gab, sich zu konzentrieren, schweiften ihre Gedanken immer wieder ab. Sie vermisste James schrecklich – sein heiteres Wesen, seine Standhaftigkeit und das Gefühl der Geborgenheit, welches sie in seiner Nähe empfand. Er war ihr Fels in der Brandung, ihr Beschützer. Ohne ihn fühlte sie sich haltlos und verloren. Wo mochte er hingereist sein? Es war so gar nicht seine Art, derart geheimnisvoll zu tun. Sie konnte nur hoffen, dass er bis zur Aufführung nicht noch ein zweites Mal fortmusste und Mr. Greatorex sein Versprechen hielt, das er ihr zu Jahresbeginn gegeben hatte.
Zwei Tage später vernahm Lavinia, dass die “Thespian Players” endlich in London eingetroffen waren. Sie verlor keine Zeit und überredete die Duchess und den Duke, sich Greatorex im Theater anzuschauen. Die Vorstellung wurde ohne Einschränkung für großartig befunden, und Seine Gnaden ließ sich sogar darauf ein, anschließend gemeinsam mit der Tochter den Hauptdarsteller hinter den Kulissen aufzusuchen, um ihm Anerkennung auszusprechen. Lavinia war seit Langem nicht mehr so fröhlich gewesen, was der Vater mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. Er sah über sein strenges Anstandsgefühl hinweg und lud den Künstler nach Stanmore House ein, um ihr eine Freude zu bereiten und ihr den Wunsch, mit ihm zu proben, zu erfüllen.
Es war noch recht früh am Morgen, als der Earl of Corringham die
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