Lady Lavinias Liebestraum
Vororte von London erreichte. Er hoffte inständig, dass Lavinia während seiner Abwesenheit Lord Wincotes Antrag nicht angenommen hatte. Zwar war sie wütend genug gewesen, um diese Dummheit zu begehen, doch zählte er darauf, dass ihr gesunder Menschenverstand sie daran hindern würde, ihr Glück unüberlegt aufs Spiel zu setzen.
Am liebsten wäre er gleich nach Stanmore House geritten. Seine Kleider hatten jedoch unter der beschwerlichen Reise zu stark gelitten, und er musste überdies unverzüglich Major Greenaway Bericht erstatten. Er konnte es kaum erwarten, Lavinia endlich wiederzusehen, gleichwohl er sich ernsthaft fragte, wie er ihr seine Neuigkeiten beibringen sollte. Womöglich glaubte sie ihm kein Wort und fühlte sich erst recht verpflichtet, Lord Wincote beizustehen. Er musste erst genügend Beweise in der Hand haben, bevor er ihre Träume und Hoffnungen zerstörte.
Nach einem erholsamen Bad traf James den Major bei White’s.
“Leider kann ich Ihnen nichts Neues über den Verbleib von Lady Willoughbys Diamanten berichten”, gestand der ältere Freund und nippte an seinem Kaffee. “Der Dieb unternahm bislang keinen Versuch, den Schmuck zu verkaufen. Da es keine weiteren Spuren oder Anhaltspunkte gibt, sind wir darauf angewiesen, dass er in Aktion tritt.”
James lehnte sich leicht vor und schob seinen Frühstücksteller zur Seite. “Dafür habe ich einige interessante Entdeckungen gemacht. Ich war in Cumberland.”
“Was konnten Sie herausfinden?”
“Nun, Wincotes Gut ist nicht nur mit Hypotheken belastet, es ist auch völlig verwahrlost. Seine Bediensteten sagen, sie hätten ihn seit dem Tod des Großvaters nicht mehr zu Gesicht bekommen und sie wüssten nicht recht, was aus ihnen und dem Anwesen werden solle. Die Kohleminen, die er stolz sein Eigen nannte, gehören auch längst seinen Gläubigern. Die meisten Schulden stammen wohl noch von Charles Wincote, der in zwielichtige Geschäfte investiert hatte. Er mochte Edmund nicht sonderlich, und als sein über alles geliebter Enkel Henry verstarb, soll er regelrecht zusammengebrochen sein. Obgleich Edmund und sein Großvater sich nicht sympathisch waren, um es gelinde auszudrücken, lebten sie seitdem unter einem Dach.”
Greenaway rieb sich das Kinn. “Warum haben die beiden sich wohl nicht verstanden?”
“Es heißt, dass es etwas mit dem Verdacht zu tun hatte, dass Henry keines natürlichen Todes gestorben sei.”
“Sie meinen, er ist ermordet worden?”
James zuckte mit den Schultern. “Wer weiß? Er soll die Treppe hinuntergefallen sein und sich das Genick gebrochen haben. Man munkelt, jemand habe ihn gestoßen. Wincote befand sich zu der Zeit angeblich in seinem Zimmer.”
“Hätte er denn ein Motiv gehabt?”
“Sein Bruder war Charles Wincotes Erbe. Womöglich war dies sein Todesurteil. Vielleicht wollte Edmund das Anwesen wieder in Schwung bringen, doch dazu brauchte er Geld – das Vermögen einer wohlhabenden Gattin, derer er sich beizeiten entledigt. Mir wird ganz angst und bange, wenn ich daran denke, dass Lavinia seine Frau werden könnte.”
“Seien Sie nicht zu voreilig mit Ihren Rückschlüssen, Corringham. Sie haben keine Beweise, und es wird auch verdammt schwierig, welche zu finden. Unsere einzige Chance sind die gestohlenen Juwelen. Irgendwann müssen sie wieder auftauchen. Und es besteht immerhin noch die Möglichkeit, dass er unschuldig ist.”
“Ich wette, das ist nicht der Fall.” Seine Lordschaft lächelte schief. “Sir Percy hat einen Plan, um ihn zu überführen. Er hat Lady Rattenshaw gebeten, es irgendwie zu bewerkstelligen, Wincotes Vertrauen zu gewinnen. Wenn seine Rechnung aufgeht und er ihr Dinge anvertraut, die ihn belasten, können wir aufatmen. Dann allerdings ist auch ihr Leben in Gefahr. Ich werde sie und Sir Percy warnen müssen.” Er trank seinen Kaffee aus und erhob sich. “Falls Sie Neuigkeiten haben, lassen Sie es mich wissen.”
Nachdem er einige Münzen auf den Tisch gelegt hatte, machte er sich auf den Weg in die Brookstreet. Dort musste er jedoch vernehmen, dass Sir Percy nicht zu Hause sei und erst am Nachmittag wieder zurückkommen werde.
Lavinia verteilte überaus temperamentvoll Pinselstriche über das unfertige Bild. Sie war zornig. Erst vor einer Stunde hatten sie und Daisy Lord Wincote und Lady Rattenshaw in einem Buchladen gesehen, wie sie, ohne sich beobachtet zu fühlen, über einem aufgeschlagenen Buch auffällig vertraut die Köpfe zusammengesteckt hatten. Dabei
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