Lady Lavinias Liebestraum
waren ihr Fragmente ihrer Unterhaltung zu Ohren gekommen: “Wirklich, Edmund?” und “Sie schmeicheln mir, meine Liebe!” Ihre Malerei drohte allmählich sämtliche Konventionen zu sprengen, hatte sie doch ob ihrer Erregung hier und da farblich unpassende und viel zu breite Pinselstriche hinzugefügt. Womöglich war Lord Wincotes plötzliche Zurückhaltung und Geduld dem Umstand zu verdanken, dass er sich indessen mit Lady Rattenshaw tröstete. Tränen stiegen ihr in die Augen: Sie musste die bittere Erfahrung machen, dass verletzter Stolz ebenso wehtun konnte wie ein gebrochenes Herz.
Plötzlich vernahm sie ein Räuspern hinter sich und wandte sich schwungvoll um. “James!” Ihr Mienenspiel verriet eine unendliche Freude, ihn zu sehen, doch umgehend wurde ihr Blick wieder ernst. “Du hast dich also entschieden, wieder zurückzukommen.”
“Das stand doch außer Frage.” Lächelnd kam er auf sie zu, und als er an dem gepolsterten Stuhl vorbeiging, ließ er nonchalant seinen Hut darauf fallen. Ihr Blick sprach Bände; es konnte gar kein Zweifel daran bestehen, dass sie zutiefst betrübt war. Das Verlangen, sie mit einer Umarmung zu trösten, bemächtigte sich seiner, doch hatte er Angst, eine solch liebevolle Annäherung würde auf Unverständnis und Ablehnung stoßen, und dies ertrüge er nicht. “Das Bild war einmal wirklich hübsch anzusehen, aber jetzt hast du die idyllische Szene fast bis zur Unkenntlichkeit zerstört.”
“Das ist mir egal”, erwiderte sie ungehalten und trug mit einer energischen Geste Farbe auf die Leinwand auf. “Ich wünschte, ich hätte mir diesen dummen Einfall, ein Theaterstück aufzuführen, nicht in den Kopf gesetzt und wäre in Risley geblieben …”
James nahm ihr den Pinsel aus der Hand, legte ihn vorsichtig auf dem kleinen Arbeitstisch neben ihnen ab und umfing ihre Schultern, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen. “Lavinia, was ist nur während der zehn Tage, die ich fort war, geschehen?”
Lavinia konnte nicht länger an sich halten, und die Klage über Lord Wincotes Gebaren sprudelte aus ihr heraus. Sie gab ehrlich zu, wie enttäuscht sie war, dass er sich ungeachtet der Möglichkeit, man könne über ihn reden, in aller Öffentlichkeit so überaus vertraut mit Lady Rattenshaw gezeigt hatte, obgleich dank seiner unverhohlen direkten Art, Lavinia zu hofieren, der
ton
längst annehmen musste, er wolle sie, Lavinia, zum Traualtar führen.
James schaute sie eindringlich an. “Warum gibst du ihm nicht einfach einen Korb?”
Lavinia seufzte. “Wenn ich das täte, würde er mit Sicherheit nicht länger mit uns Theater spielen. Einen neuen Lysander finde ich in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, nicht mehr.”
“Ach, nur wegen des Theaterstücks wartest du noch …”, bemerkte er und winkte ab.
Eine neuerliche Anwandlung von Trotz löste den Kummer, den sie eben noch empfunden hatte, ab. “Natürlich nicht nur der Aufführung wegen. Aber wenn Edmund Wincote glaubt, er könne mich eifersüchtig machen, hat er sich gewaltig geirrt.”
James lachte und streichelte sanft ihre Wange. “Gut so, meine Liebe.”
Seine Berührung kam so unerwartet, dass ihr das Herz bis zum Hals zu schlagen begann. Er war so zärtlich und doch so stark. Es gibt bestimmt nicht viele Männer, die es mit meinen Gefühlsausbrüchen aufzunehmen wüssten, mich gleichzeitig aber lieben und beschützen könnten, dachte sie bei sich.
Sie schluckte schwer. “Jetzt weilst du also wieder unter uns, James. Ich hoffe, du bleibst gleich hier, um mit uns zu proben. Denn es wird vorerst die letzte Zusammenkunft vor dem Prozess sein, den der König gegen seine Gemahlin angestrengt hat. Lord Haverley und Lord Edmund haben in dieser Zeit Verpflichtungen im Parlament, wie natürlich auch du und Papa.”
Er verbeugte sich und schaute dabei lächelnd zu ihr auf. “Ich stehe Ihnen wie immer zur Verfügung, Mylady.”
“Gut, ich hoffe, die Amüsements der letzten Tage haben dich nicht deinen Text vergessen lassen.”
Wie gern hätte Lavinia seine Beteuerung gehört, er habe sich keineswegs amüsiert, sondern wirklich wichtige Geschäfte zu erledigen gehabt, doch er lächelte nur.
Indes war seine heitere Reaktion nur eine Maske, denn wie gern wollte er ihr die Wahrheit sagen. “Lavinia, ich wünschte …” Er brach ab, weil just in diesem Augenblick Sir Percy in den Raum kam. Kurz darauf folgten Benedict Willoughby und ihr Bruder Duncan, dann trafen Constance und Lord Haverley mit seinen
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