Lady Lavinias Liebestraum
keine Gedanken darüber gemacht, doch war sie im Begriff, sich im tiefsten Innern zu verändern, sodass seine Berührung sie nun gleichermaßen entzückte wie beunruhigte.
“So ist es schon besser”, sagte er, während er das Tuch wieder in der Tasche verstaute.
Lavinia schaute ihn nur aus großen Augen an und versuchte, sein Mienenspiel zu ergründen. Obgleich er ihr ein vertrautes Schmunzeln schenkte, schien er traurig zu sein, und daher sah sie lieber davon ab, ihn weiter über den Grund seiner Verspätung zu befragen oder ihn zu schelten.
Sie versuchte zu lächeln. “Danke. Kannst du mir helfen, das Bild an die Wand dort zu schieben? Es braucht noch einige Zeit, bis es trocken ist, und hier steht es nur im Weg.”
James schluckte schwer. So konnte es nicht weitergehen. Dieser merkwürdig vertraute Umgang, den sie pflegten, brach ihm allmählich das Herz. Er musste sich regelrecht überwinden, eine frohe Miene aufzusetzen. “Du verlangst viel, denn wie du siehst, habe ich einen neuen Gehrock an. Ich will nicht, dass er gleich am ersten Tag in Mitleidenschaft gezogen wird.”
Lavinia blieb beharrlich. “Dann zieh ihn aus.”
“Aber meine Weste ist auch neu.”
“Dann zieh auch die aus, James.”
Er machte ein betroffenes Gesicht. “Das wäre im höchsten Maß unanständig. Immerhin bist du kein kleines Kind mehr, sondern eine vornehm erzogene, obendrein heiratsfähige junge Dame.”
“Bin ich das wirklich?”, fragte sie zugleich erstaunt und verbittert.
“Etwa nicht?”
“James, bist du nur gekommen, um mich zu ärgern? Willst du mir jetzt helfen oder nicht? Andernfalls rufe ich nach einem Diener.”
Da er keineswegs wollte, dass ihr kleines Tête-à-tête von einem Lakaien gestört wurde, entledigte er sich rasch seines Gehrocks, legte ihn sorgfältig über eine Stuhllehne und krempelte die Ärmel hoch, um sogleich die Leinwand an ihren vorbestimmten Platz zu manövrieren.
“Vielen Dank, James.”
Er machte eine übertrieben tiefe Verbeugung. “Es war mir ein Vergnügen. Du hast meine Frage, die ich dir neulich stellte, übrigens noch nicht beantwortet.”
“Welche Frage?”
“Ob du bald heiraten wirst.”
“Nicht heute und auch nicht die nächste Woche. Ich bin viel zu beschäftigt.”
“Mit dem Theaterstück?”
“Natürlich. Was sonst könnte mich so in Beschlag nehmen?” Sie hielt inne und schaute misstrauisch zu ihm auf. “James, warum bist du übrigens so spät noch gekommen? Du wusstest doch, dass um diese Zeit die Probe längst beendet ist.”
James wandte sich von ihr ab und schritt auf das französische Fenster zu. “Ja, richtig. Ich wollte dir sagen, dass ich für ein paar Tage aufs Land reisen werde, um einen Freund zu sehen. Die Vorbereitungen sind bereits getroffen.”
“Aufs Land? Aber James, du kannst jetzt nicht fort”, flehte Lavinia und kam hastigen Schrittes auf ihn zu. “Die nächsten zwei Wochen haben wir weitere Proben! Gerade da es die letzten sind, werden alle sich große Mühe geben, auch anwesend zu sein.”
“Dann wirst du mich ja nicht besonders vermissen”, erklärte er, ohne sich zu ihr umzudrehen.
“Du hast bereits heute Nachmittag gefehlt. Benedict Willoughby musste deinen Part mit übernehmen”, schimpfte sie.
Langsam wandte er sich um und schaute sie eindringlichen Blickes an. “Er wird mich wieder vertreten können, Lavinia. Ich werde nur so lange fortbleiben wie unbedingt nötig.”
“Du bist wieder einmal in Schwierigkeiten!”
“Wie kommst du denn darauf?”
“Vor wem sonst als vor Gläubigern solltest du so plötzlich aufs Land entfliehen wollen?”
James musste herzhaft lachen. “Ich habe keine Schulden, auch stecke ich nicht in Schwierigkeiten; ich muss schon sagen, deine Meinung von mir kann nicht sonderlich hoch sein.”
“Warum musst du dann unbedingt fort?”
“Warum musst du so neugierig sein?”, gab James entnervt zurück.
“Oh James, wie kannst du nur so egoistisch sein? Du weißt doch, wie hart jeder von uns an seiner Rolle gearbeitet hat. Und Papa hat uns überdies großzügig den Ballsaal zur Verfügung gestellt. Und … Ich bin wirklich sehr verärgert über dich, James Corringham!”
“Das tut mir leid, aber meine Reise ist von größter Wichtigkeit.”
“Wichtiger als ich?”
“Diese Frage ist geradezu impertinent, meine Liebe. Ich hoffe, du erwartest nicht wirklich eine Antwort”, erwiderte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
“Sei unbesorgt. Ich kenne sie ja bereits. Du lässt
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