Lady Lavinias Liebestraum
kann.”
Kaum hatte im Parlament die Verhandlung bezüglich der Scheidung des Königspaares begonnen, bekundeten unüberschaubar viele Anhänger Ihrer Majestät ihren Unmut über König Georges Anstrengungen, sich von seiner Gattin zu trennen. Die Menschen drängten sich in den Straßen und auf den Plätzen nicht nur in der Nähe von Königin Carolines Residenz, sodass man sich am nächsten Tag in Stanmore House darüber beriet, wie man die Zeit verbringen könne, ohne das Haus zu verlassen.
Lavinia beschloss kurzerhand, ihr missratenes Bild zu überarbeiten, in der Hoffnung, es doch noch verwenden zu können. Nachdem sie die Schürze angelegt und den Pinsel in die Farbe getaucht hatte, hielt sie gedankenverloren inne und ließ den Blick über die Leinwand schweifen. Wie lächerlich sie sich doch gemacht hatte vor James, als er sie unerwartet an jenem Nachmittag neulich besucht hatte. Sie war so wütend gewesen über Lady Rattenshaw und Lord Wincote, dass James unweigerlich hatte annehmen müssen, sie sei eifersüchtig auf die Dame und Edmund breche ihr das Herz. Dabei war
er
, James Corringham, es, der ihr Liebeskummer verursachte. Unentwegt musste sie an ihn denken, sei es beim Lesen, beim Rezitieren oder wenn sie zu Bett ging. Schloss sie die Augen, sah sie sein Antlitz.
Sie betrachtete die über das Gemälde verteilten wütenden Pinselstriche und schüttelte den Kopf. Sie wollte Lord Wincote nicht zum Mann, und – das wurde ihr jetzt klar – sie hatte ihn von Anbeginn nicht gewollt. Sie war lediglich geschmeichelt gewesen von seiner stürmischen Art, sie zu hofieren, und seine dunkelbraunen Augen hatten sie fasziniert, das war alles.
Wie sehr sie sich danach sehnte, James für immer an ihrer Seite zu haben! Doch er konnte nur das spitzbübische Mädchen in ihr sehen. “Kein Wunder”, murmelte sie und begann die verunglückten Stellen zu übermalen. “Irgendwie muss ich das Durcheinander, das ich angerichtet habe, wiedergutmachen.”
Am Abend hatte der Duke of Loscoe den Earl of Corringham mit nach Stanmore House gebracht, um mit der ganzen Familie ein geruhsames Dinner einzunehmen.
Wider die Gepflogenheit, sich bei Tisch über dies oder jenes zu unterhalten, herrschte Stillschweigen zwischen Lavinia und James. Erst als das Essen serviert wurde, begannen sie zu reden, aber bedauerlicherweise zur gleichen Zeit. Sie lachten verlegen.
“Verzeih mir, was wolltest du sagen?”
“Ach, ich wollte nur wissen, ob du die Straßen für sicher genug hältst, um morgen Vormittag auszureiten”, meinte Lavinia.
“Nun, du müsstest wie immer sehr früh aufbrechen, bevor die Massen von Demonstranten sich zusammenfinden.”
“Meinst du, morgen wird es genauso schlimm wie heute?”
James betupfte sich mit der Serviette die Oberlippe. “Ich fürchte, während der Verhandlung wird es so bleiben. Und es ist nicht abzusehen, wann der Streit endlich beigelegt sein wird.”
Der Duke of Loscoe setzte sein Weinglas ab. “Übrigens, Lavinia, ich habe Lord Wincote heute in Westminster getroffen. Hat er dich eigentlich gedrängt, ihm vor dem ausgemachten Termin Antwort auf seinen Antrag zu geben?”
“Nein, Papa.”
“Dann gib ihm auch keine”, fuhr James unverblümt und derart entschieden dazwischen, dass Lavinia ihm einen überraschten Blick zuwarf. Das unerwartete Erscheinen Lord Wincotes bei der Parlamentssitzung hatte ihn zutiefst beunruhigt, denn er war davon ausgegangen, dass der Mann längst mit Miss Doubleday auf dem Lande weilte. Stattdessen hatte er sein Recht als Peer wahrgenommen und lebhaft mitdiskutiert. “Er wird sich, wie es sich gehört, gedulden müssen.”
“Und wenn er es doch nicht abwarten kann?”, fragte Lavinia leicht brüskiert ob seiner lehrmeisterhaften Art.
“In dem Fall muss man wohl davon ausgehen, dass er Grund zur Eile hat.”
“Den hat er. Er kann es kaum erwarten, mich zum Traualtar zu führen.” Noch während sie sprach, bereute sie ihre trotzige Antwort, musste James doch ein weiteres Mal annehmen, ihr liege noch immer etwas an Lord Wincote.
James machte ein misstrauisches Gesicht. “Er beteuert demnach, dass er dir nach wie vor ergeben ist?”
Sie wusste, dass er auf die Begegnung im Buchladen und auf Wincotes unangekündigtes Fehlen anspielte. “Er kam gleich am nächsten Tag, um sich bei mir zu entschuldigen. Ich habe die Situation gründlich missverstanden.”
“Wovon sprecht ihr?”, fragte der Vater. “Gab es eine Meinungsverschiedenheit?”
“Nein,
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