Lady Marys romantisches Abenteuer
ihrem Gesicht konnte man all ihre unausgesprochenen Fragen lesen.
„Es tut mir leid, Madame“, sagte Mary langsam, „aber ich fürchte, Sie irren sich. Diese Blumen waren nicht für mich.“
Die Wirtin hob die Augenbrauen. „Aber, Mylady, ich bin sicher, dass …“
„Nein, Madame“, sagte Mary. „Dieses Bukett war nicht für mich bestimmt. Genauso wenig wie der Herr.“
4. KAPITEL
John stand auf der Straße, in der einen Hand das Erdbeerkörbchen, in der anderen einen kleinen Zinneimer voll Schlagsahne. Er kam sich nicht gerade wie ein Narr vor – dazu brauchte es mehr –, aber glücklich war er auch nicht.
Wohin war Lady Mary bloß verschwunden?
Wieder warf er einen Blick zurück auf den Coq d’Or und hoffte, sie dort stehen zu sehen, wo er sie zurückgelassen hatte. Aber dieses Mal stand Madame Gris höchstpersönlich in der offenen Vordertür und befahl einem Diener mit einem Schrankkoffer, ihn hinters Wirtshaus zu tragen. Madame legte ein schroffes Betragen an den Tag, das ihre Gäste selten zu Gesicht bekamen. Doch die zu dieser Situation ganz und gar unpassenden rosa und weißen Blumen in ihrem Arm nahmen dem Befehl etwas die Schärfe. Es war dasselbe Bukett, das John kurz zuvor Lady Mary verehrt hatte.
„Madame Gris!“ Das Erdbeerkörbchen schwang hin und her, als er auf sie zustürzte. „Haben Sie Lady Mary gesehen?“
Madames Gesichtsausdruck schien leichtes Mitleid auszudrücken, kein gutes Omen.
„Ja, Mylord, ich habe sie gesehen“, sagte sie. „Sie sagte mir, sie wolle die Blumen nicht, und Sie wolle sie auch nicht.“
Er konnte es nicht glauben. Nicht, nachdem sie sich offensichtlich doch so gut unterhalten und seine Gesellschaft genossen hatte. Sie konnte das nicht nur vorgetäuscht haben. Für so eine Heuchelei war sie zu jung und zu unerfahren. Gerade das machte für ihn doch einen großen Teil ihres Zaubers aus. Aber was hatte sie dann so schnell ihre Meinung ändern lassen?
„Sind Sie sicher, Madame?“, fragte er. „Sie hat keine Nachricht für mich hinterlassen?“
„Nein, Mylord.“ Madame schob die Blumen von einem Arm in den anderen. „Aber ihre Anstandsdame war bei ihr, diese kleine, unscheinbare Frau. Sie könnte Ihrer Ladyschaft befohlen haben, mitzukommen. Sie werden gleich abreisen, in ihrer eigenen großen Privatkutsche.“
„Oh ja, die Kutsche.“ Sie würde so nach Paris fahren, wie ihr Vater es gewollt hatte, eingesperrt in einen glänzenden Kokon aus englischem Geld und Privilegien. „Natürlich.“
Madame Gris nickte wissend. „So eine vornehme englische Dame – die hat keine andere Wahl, nicht wahr? Sie muss den heiraten, den ihr Vater ihr bestimmt, nicht wahr?“
Jetzt kam er sich mit den Erdbeeren und der Schlagsahne in seinen Händen wirklich dumm vor. Lady Mary mochte mit ihm lachen und voller Begeisterung über alte Bilder reden. Sie mochte so tun, als dächte sie darüber nach, mit ihm in einer einfachen Postkutsche nach Paris durchzubrennen, und ihn dabei so sanft anlächeln, dass er sich einbildete, sie hätte noch keinen Mann je so angelächelt – doch am Ende würde sie wieder nach England zurückkehren, wo sie hingehörte.
Und nicht ihre Zeit mit dem heimatlosen Sohn eines verarmten irischen Marquis vertrödeln.
„Verzeihen Sie, wenn ich frage, Mylord, aber was soll ich mit den Blumen hier machen?“
„Was immer Sie wollen, Madame, denn ihr gefielen sie nicht.“ Er stellte das Körbchen mit den Erdbeeren und das Eimerchen voll Sahne auf die Bank neben der Tür. „Und das Gleiche machen Sie mit diesem Zeug hier. Wenn Sie mich nicht will, wird sie für die Früchte da wahrscheinlich auch keine Verwendung haben.“
Fest entschlossen, Lady Mary zu vergessen, wie sie ihn vergessen hatte, wandte er sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen.
Mary saß, einen Fächer aus Elfenbein in der Hand, in einer Ecke der Kutsche, Diana in der anderen und ihnen gegenüber, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, war der Platz von Miss Wood. Die Lederpolster waren für die Reise mit frischer Schafswolle gestopft worden, und die modernen Stahlfedern unter der Kutsche, die das Holpern während der Fahrt dämpfen sollten, hatte man eigens eingebaut. Die Glasfenster der Kutsche waren heruntergeschoben und ließen die frische Seeluft und den sommerlich-süßen Duft der grüngelben Kornfelder herein.
Die Poststraße von Calais nach Paris war nicht schwierig zu befahren. Mary hatte die Reiseroute auf der Karte eingezeichnet, die sie mitgenommen hatte, um
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