Lady Marys romantisches Abenteuer
roten Wangen den Kopf. „Ich wusste nicht, sonst hätte ich nie …“
„Sie müssen sich nicht entschuldigen, meine Liebe“, erwiderte er und zwang sich zu einem Lächeln. „Dass sie meine Vorfahren sind, verbessert nicht ihren Ruf. Nach allem, was man so hört, waren sie absolut barbarisch, wie Sie schon sagten. Sie verdienten den gewaltsamen Tod, der ihre Linie beendete. Nur eine junge Frau entkam dem Massaker und kam hierher nach Frankreich, mit einem Gemälde unter ihrer Habe, das dem Ihrer Schwester sehr ähnelte. Es gab noch zwei andere Schwestern mit anderen Gemälden. Die hatten nicht so viel Glück und verschwanden.“
Schon als er ein Junge gewesen war, hatte Isabella Feroces Geschichte ihn fasziniert, wenn seine Großmutter sie ihm erzählte. Er liebte den Mut der jungen Frau und ihren Trotz. Und selbst jetzt, wenn er auf das Bild der Heiligen Muttergottes schaute, dachte er auch an Isabella. Sie heiratete nicht aus Liebe in die Familie der d’Archambaults ein, sondern um der Macht willen. Es wäre ihr Ziel, ihr Traum gewesen, das Triptychon wieder zusammenzufügen, so, wie es seiner war. Isabella hatte ihr Leben riskiert. Er würde bald seines dahingeben.
Doch die junge Lady Diana war von seiner Familiengeschichte nicht besonders fasziniert. Ihr Blick wanderte fort von ihm, hin zu den jüngeren Männern im Raum, und es war klar, dass sie ihm nicht mehr zuhörte.
„Das ist äußerst interessant, Mylord“, meinte sie geistesabwesend. „Aber ich sehe, dass meine Gouvernante mich zu sich winkt, und ich muss zu ihr gehen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen?“
„Gewiss, meine Liebe, gehen Sie nur“, entschuldigte er sie mit einer erschöpften Handbewegung, während sie davoneilte. Das Gesicht schmerzverzerrt, die Augen fest geschlossen, sank er in seinen Sessel zurück. Er hatte bereits gewusst, dass er sterben würde, aber er hatte nicht erkannt, dass er auch schon ein Langweiler geworden war.
Doch bald wäre nichts von alldem noch von Bedeutung. Er würde das letzte Gemälde besitzen. Wegen des dummen Geplappers dieses Mädchens, gehörte es ihm schon jetzt beinahe sicher.
Und bald, so bald schon, würden ihm für immer Friede und Barmherzigkeit gewährt.
Mary stand am Eingang und konnte sich nicht beruhigen, ganz gleich, wie schnell sie sich auch mit dem Fächer Luft zufächelte. Seit Jahren schon hatte sie sich nach einem Pariser Salon gesehnt, weit weg von dem langweiligen, Fuchsjagden veranstaltenden, selbstgefälligen Landadel rund um Aston Hall.
Basierend auf dem, was sie gelesen und gehört hatte, hatte sie sich alles bis ins kleinste Detail ausgemalt: schöne Damen und gut gekleidete Herren mit ernsten Gesichtern und leidenschaftlichen, doch respektvoll leisen Stimmen, wie sie gewichtig über große, philosophische Fragen debattierten. Sie stellte sich vor, wie sie selbst die Ehre hatte, einfach nur zu lauschen, und es nur dann wagte, ihre eigene Meinung zu sagen, wenn es um ein Thema ging, über das sie absolut Bescheid wusste. Es würde keinen Herrn geben, der zu viel Punsch getrunken hatte, so wie es immer auf den Gesellschaften ihres Vaters geschah, noch wären schrill lachende Damen zu hören. Auch gäbe es keine Hunde, die durch die Räume strichen und sich Stücke von den Tellern der Unachtsamen stahlen. Bei einem Salon ginge es elegant und würdevoll zu.
Und jetzt war sie hier, im Gesellschaftszimmer einer der bekanntesten Veranstalterinnen von Salons , Madame du Fontenelle. Der Raum war fast beängstigend schön, voller fein vergoldeter Stühle, hoher venezianischer Spiegel und mit verschwenderisch vielen Gemälden von Künstlern, die in Mode waren wie Fragonard und Boucher. Die Gesellschaft war so elegant, wie sie es sich immer vorgestellt hatte, und genauso geschmackvoll gekleidet, wie man es den Franzosen nachsagte.
„Was für ein Pack von ermüdenden Langweilern“, flüsterte John neben ihr. „Ich weiß, dass Sie heute Abend hierher kommen wollten, aber gibt es etwas weniger Aufregendes als diese Gesellschaft hier?“
Mary hob den Fächer, um ihre Unterhaltung zu verbergen. Noch nie hatte sie John schöner gesehen als heute Abend. Sein ungepudertes Haar stach unter all den weißen Perücken hervor, und sein gebräuntes Gesicht kontrastierte mit der vornehmen Blässe der anderen Salongäste. Doch heute Abend war er in einer seltsam grüblerischen Stimmung, in sich gekehrter als sonst. Sie fragte sich, ob das hier wieder so ein Ort war, den er aus
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