Lady Marys romantisches Abenteuer
unausgesprochenen Gründen nicht besuchen wollte. Sie hatte sich geschworen, ihm heute Abend zu sagen, dass sie ihn liebte, aber sie konnte ihr Herz nicht sprechen lassen, bevor sich seine Stimmung gebessert hatte.
„Still, John, seien Sie jetzt still!“, schalt sie leise. „Wir sind Gäste. So etwas dürfen Sie nicht sagen.“
Wenig überzeugt hustete er und benutzte dabei seine gewölbte Hand auf die gleiche Weise wie Mary ihren Fächer. „Ich darf, weil es wahr ist. Die Mitglieder eines jeden Salons in Frankreich glauben, sie verkörperten das wahre Genie ihres Zeitalters, aber hören Sie ihnen bloß zu! Sie plappern daher wie Affen im Käfig. Keiner kümmert sich um das, was der andere sagt, solange seine eigene Stimme die lauteste ist.“
„Oh John, bitte“, murmelte sie und hoffte, dass niemand sie belauschte. Doch die traurige Wahrheit war, dass John recht hatte: Zwar sah alles so aus, wie in ihren Träumen von Frankreich, doch der Ton hier war genauso rau wie bei irgendeinem Jagdfrühstück, wo jedermann schrie und mit den Händen herumwedelte, um seinen Standpunkt zu behaupten. „Es ist eine beträchtliche Ehre für uns, dass wir hier sein dürfen. Madame Fontenelle lädt nur die brillantesten Persönlichkeiten zu ihren Salons ein.“
Er sah sie an und schüttelte den Kopf, als wollte er sagen, dass er sie nie verstehen würde. „Schauen Sie dorthin. Da ist dieser verlebte Gauner d’Archambault. Sein Lehnstuhl steht so nah am Feuer, dass er genauso gut in den Flammen sitzen könnte.“
Mary erkannte sofort den Comte aus der Galerie und verspürte in seiner Gegenwart wieder diesen unangenehmen Schauder. „Ich glaubte, wir würden ihn nie wiedersehen“, sagte sie. „Zumindest hoffte ich es.“
„Der Teufel wacht über die Seinen“, meinte John. „So ist er für den Augenblick der hochverehrte Mittelpunkt dieses feinen Salons .“
Mary sah weg. Es war ihr unangenehm, solch einen Mann länger zu betrachten. Es war eine Sache, sonntags eine erbauliche Geschichte über Moral zu lesen, eine andere, in dem verwüsteten Fleisch vor ihr die traurigen Folgen der Sünde zu sehen.
„Vielleicht dient ja seine Anwesenheit hier den anderen zur Warnung“, überlegte sie, bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Selbst wenn es für ihn zu spät ist, ein besseres Leben zu leben, gibt es vielleicht viele andere hier, die ihn sehen und ihre eigenen Taten noch einmal überdenken.“
„Bestimmt gibt es hier einige lasterhafte Menschen. Doch ob sie sich wünschen, gebessert zu werden, ist eine andere Frage.“ Er verschränkte seine Finger mit den ihren, als wollte er sich so beruhigen, sie verstand allerdings nicht ganz, was ihn so aufregte. „Sie gehören nicht hierher, nicht unter solche Leute, Mary.“
Hatte d’Archambault auch ihn aus der Fassung gebracht, fragte sie sich, oder wollte er heute Abend einfach nicht hier sein?
„Wir können nicht so früh gehen, John“, erwiderte sie, obwohl ihr klar wurde, dass sie genau das gerne tun wollte. In der Hoffnung, ihre Schwester zu entdecken, blickte sie sich im Raum um. Wenn es hier wirklich so viele zügellose Männer gab, dann wollte sie ihre Schwester auf keinen Fall allein lassen.
„Ihrer Schwester wird es schon gut gehen“, sagte John. Er las ihr die Sorgen vom Gesicht ab, als hätte sie sie ausgesprochen. „Dafür ist doch Miss Wood da, oder?“
„Aber es wäre wirklich unhöflich, jetzt zu gehen“, protestierte sie. „Wir sind gerade erst gekommen.“
„Dann lassen Sie uns den Weg in den Garten suchen“, schlug er vor und umfasste ihre Hand noch fester. „Bei einem Haus dieser Größe muss es einen geben. Ich glaube nicht, dass ich es hier noch fünf Minuten länger aushalte.“
Er führte sie umsichtig durch die Menge der Gäste. Die hohe Bogentür zum hinteren Garten war schon geöffnet, um jede frische Brise einzulassen. Sie schlüpften hinaus, und Mary atmete tief die kühle Luft ein, während sie auf der weißen Marmorstufe standen.
Der Garten war lang, schmal und umschlossen von hohen Backsteinwänden. Er spiegelte die strenge Symmetrie des Gesellschaftszimmers wider. An der Wand standen Spalierbäume, deren Äste gerade an den Backsteinen aufgebunden waren. Auch die Spazierwege waren in einem strengen Muster angelegt als ein Netz heller Wege, in dessen Zentrum eine Sonnenuhr stand, flankiert von zwei Marmorbänken.
„Schauen Sie sich das an“, sagte John angewidert. „Nichts als diese verdammten
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