Lady Marys romantisches Abenteuer
spindeldürren Ulmen. Kaum genug Schatten, dass sich ein Eichhörnchen verstecken könnte.“
„Ein Eichhörnchen könnte sich aber dort, an der gegenüberliegenden Wand hinter diesem Gartenschuppen verstecken“, antwortete Mary und warf einen Blick auf die anderen Gäste, die wie sie den Weg in den Garten gefunden hatten. „Vielleicht sogar zwei Eichhörnchen.“
Er schaute nur mürrisch und antwortete nicht.
„John, bitte“, sagte sie sanft und hakte sich bei ihm unter. „Ich … ich habe Ihnen etwas zu sagen, und dabei möchte ich lieber kein Publikum haben.“
„Auch ich habe Ihnen etwas zu sagen.“ Er fasste sie bei der Hand und ging die Stufen hinunter. Er war so schnell, dass sie neben ihm herhüpfen musste, um mit ihm Schritt zu halten.
„John, langsamer, bitte … bitte, John!“, keuchte sie atemlos und versuchte ihn zurückzuhalten.
Abrupt blieb er neben der Sonnenuhr stehen. Das Mondlicht ließ sein finsteres Gesicht noch düsterer aussehen. „Sie haben immer mit mir Schritt gehalten, Mary, oder sind selbst vorangegangen. Seit wann bin ich Ihnen zu schnell?“
„Seit eben“, entgegnete sie und presste die Hand in die plötzlich schmerzende Seite. Sie wollte nur ungern zugeben, dass sie heute enger geschnürt war, um in dieses Kleid zu passen. Jedenfalls enger, als sie es bei ihren Spaziergängen mit ihm gewesen war. Doch sie hatte auch so, ohne halb erstickt zu werden, schon Mühe, die richtigen Worte zu finden. „Was ich zu sagen habe, ist … ist wichtig. Aber es kann noch eine weitere halbe Minute warten.“
„Nun gut“, sagte er und ließ ihre Hand los. Er klopfte sich auf den Rock, wurde dann mit einem Mal befangen und trommelte stattdessen mit den Fingern auf dem Messingzeiger der Sonnenuhr. Langsam ging er im Halbkreis um den Marmorsockel herum, bis er Mary gegenüberstand, die Sonnenuhr zwischen ihnen. „Dann spreche ich als Erster.“
„Nein!“ Sie hatte keine Ahnung, was er sagen wollte, aber sie wusste, wenn sie jetzt nicht bald ihre Gedanken aussprach, würde sie die Fassung verlieren. Ihr Herzklopfen hatte schon längst nichts mehr mit der engen Schnürung des Korsetts zu tun. „Das heißt, ich möchte es lieber vor Ihnen tun, John, wenn Sie einverstanden sind.“
„Natürlich bin ich einverstanden.“ Im Mondlicht blitzte sein Lächeln auf. Sie war völlig überrascht. Es war das erste Mal, dass er während dieses ganzen Abends lächelte. „Ich bin immer einer Meinung mit Ihnen.“
Er beugte sich über die Sonnenuhr und zog Mary zu sich herüber. Etwas von dem Haarpuder staubte auf, und Mary schüttelte leicht den Kopf. Ihre Lippen trafen sich über der Sonnenuhr, über den schweigenden Stunden von Tag und Nacht. Und als er sie küsste, schmeckte sie nicht nur sein Verlangen nach ihr, sondern auch noch etwas anderes.
„Ich liebe dich“, hauchte sie mit geschlossenen Augen, als ihre Lippen sich trennten. Die Worte kamen so leicht aus ihrem Mund, dass sie sich fragte, ob sie sie wirklich laut ausgesprochen oder vielleicht doch nur geträumt hatte. „Ich liebe dich, John.“
„Mary.“ Das war alles, was er sagte, ein raues Flüstern, das auf ihr eigenes antwortete. „Kein Wunder, dass ich dir nicht fernbleiben konnte.“
„Weil ich dich liebe“, wiederholte sie und wagte es endlich, die Augen zu öffnen.
Das Haar fiel ihm leicht in die Stirn, ein Lächeln spielte um seine Lippen. Mit halb geschlossenen Augen sah er sie an, und doch war sein Blick so eindringlich, dass Mary erschauerte. Sie spürte seine Hände und den leichten Wind, sie hörte die Kutschen auf der Straße hinter der Mauer, das Gelächter und die Stimmen aus dem Innern des Hauses und ihre eigene Stimme voller Leidenschaft.
Ganz gleich, was sonst noch in ihrem Leben geschehen mochte, hieran würde sie sich immer erinnern: Wie sie sich über die Sonnenuhr beugte, um ihm nahe zu sein, während die Zeit stillstand.
„Ich liebe dich, John“, sagte sie wieder. Das Verlangen, ihm noch viel mehr zu sagen, ließ ihre Stimme zittern. „Was ich fühle, wenn wir beisammen sind, oder schlimmer noch, was ich fühle, wenn wir getrennt sind – ich kann es nicht erklären. Ich kann nur sagen, dass es wie ein Zauber ist, so, als wärst du der einzige Mann auf dieser Welt, der Mann, der für mich bestimmt ist. Als ob kein anderer je …“
„Dann heirate mich, Liebste“, antwortete er. „Heirate mich und werde meine Frau.“
12. KAPITEL
John konnte nicht aufhören zu sprechen, selbst wenn er
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