Lady meines Herzens
niemals ein Kind bekommen würde. Ich konnte Richmond keinen Erben schenken. Darum beschlossen Eleanor und ich, dass ich dich als mein eigenes Kind aufziehen würde.«
»Wie habt ihr das eingefädelt?«, fragte Clarissa zweifelnd.
»Ach, das war einfach. Ich habe mich für einige Monate aufs Land zurückgezogen, und meine Schwester war meine einzige Gesellschaft. Bei meiner Rückkehr brachte ich ein Baby mit«, sagte ihre Mutter leichthin.
»Dann weiß Vater – ich weiß nicht, kann ich ihn überhaupt so nennen? Er weiß nichts davon?«
»Es würde ihm das Herz brechen, wenn er erfährt, dass die Richmond-Linie mit ihm aussterben wird oder dass sein Titel an ein illegitimes Mädchen geht, das nicht von seinem Blut ist.«
Es würde ihn umbringen. Er war von der Pferdezucht besessen, und dann müsste er sich sein eigenes Scheitern eingestehen. Er war so interessiert daran, die einzelnen Zuchtlinien der Stuten und Hengste zu verfolgen, und zugleich wusste er nichts über die Abstammung seiner eigenen Familie. Clarissas Herz schmerzte bei der Vorstellung, was das für ihn bedeutete. Sie trauerte um ihre toten Eltern und um ihr eigenes Schicksal.
»Warum hast du das alles getan?«
»Wie alle Frauen unseres Standes wurden auch von mir nur zwei Dinge erwartet«, sagte Lady Richmond kalt. »Ich sollte eine gute Ehe eingehen und einen gesunden Erben zur Welt bringen. Ich wollte bei den einzigen Aufgaben, die die Welt mir zugestand, nicht versagen. Es kommt nicht häufig vor, dass sich eine Frau außerhalb ihres Heims verwirklichen kann, wie es Miss Harlow tut. Dieser Weg stand mir nicht offen. Weil es dich gab, konnte ich meine Pflichten erfüllen. Ich habe uns weit gebracht, aber nur du kannst die Sache zu einem guten Abschluss bringen.«
»Ich verstehe immer noch nicht, warum …«
»Es ist zu riskant! Wir haben eine Sondergenehmigung vom König – vom König! –, dass der Titel durch dich weitergegeben werden darf. Weißt du überhaupt, was für eine seltene Ehre das ist?«
»Das ist mir egal!«
»Falls Frederick von deiner wahren Herkunft erfährt, könnte er dich niemals heiraten. Kein Mann würde dich nehmen, und dann wären wir völlig mittellos. Lord Brandon aber …«
»Er weiß davon?«
»Das glaube ich nicht. Gott verhüte, dass er je davon erfährt. Aber es ist im Grunde egal, denn der Ehevertrag hält jeder Anfechtung stand. In wenigen Tagen werden die Güter, das Geld und unsere Zukunft gesichert sein. Ich habe dieses Geheimnis zwanzig Jahre lang für mich behalten, und es muss nur noch zwei weitere Tage ein Geheimnis bleiben.«
»Er liebt mich. Vielleicht …«
»Prinzen müssen vor allem auf die Abstammung und die Fortführung ihrer Häuser achten. Viel mehr noch als Dukes.«
»Haben meine Eltern sich geliebt?«, fragte Clarissa. Die Antwort war für sie unglaublich wichtig. Sie war sicher, dass diese Antwort über ihr Schicksal entschied.
»Sie haben sich sehr geliebt, was zu ihrem absolut dummen Verhalten führte. Sie sind einfach nach Gretna Green entflohen, mitten im Winter. Es gab einen Unfall, den dein Vater nicht überlebte. Damals war Eleanor bereits schwanger.«
»Kannst du mir mehr über die beiden erzählen?«, wisperte Clarissa. Sie konnte es kaum glauben, aber wenn sie Details erfuhr, wurde diese Vergangenheit vielleicht real.
»Es gibt Hunderte Liebesbriefe, und Eleanor hat gewissenhaft Tagebuch geführt. Ich werde dir die Sachen geben, sobald du mit Lord Brandon verheiratet bist.«
Bis zu diesem Augenblick war Clarissa bereit gewesen, um jeden Preis mit Frederick durchzubrennen. Aber die Möglichkeit, die ganze Wahrheit über ihre Eltern und ihre eigene Herkunft zu erfahren, war ein verlockendes Angebot. Sie musste nur einen Mann heiraten, den sie nicht liebte und den sie damit von der Frau fernhielt, mit der er zusammen sein wollte. Wie groß war ihr Wunsch, mehr über ihre Eltern zu erfahren? Wie sehr wollte sie diese Liebesbriefe? Schließlich wusste sie aus ihrer eigenen liebevollen Korrespondenz mit Frederick, wie viele Geheimnisse und Details in diesen Briefen stecken konnten …
Kapitel 42
Am Tag vor der Hochzeit …
Hamilton House
Brandon öffnete die Augen. Er wachte in seinem Schlafgemach auf, konnte sich aber nicht mehr erinnern, wie er hierher gelangt war. Der quälende Schmerz, der in seinem Kopf einsetzte, sobald er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, ließ ihn die Augen wieder schließen.
Er fragte sich, warum jemand gegen seinen Kopf hämmerte.
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