Lady meines Herzens
nehme.«
»Du brauchst sie«, sagte seine Mutter.
»Ich könnte ihr den Notizblock zurückbringen«, schlug er vor.
»Mal sehen«, sagte sie und schürzte die Lippen.
Richmond House
Vor der Haustür
Es überraschte von Vennigan nicht, dass die Richmonds nicht »daheim« waren, als er an ihre Tür klopfte. Dieser kleine Abstecher war aber kein absoluter Fehlschlag, denn es gelang ihm, einen kurzen Blick in die Eingangshalle zu erhaschen und so eine ungefähre Ahnung von der Aufteilung der Räumlichkeiten zu bekommen, während er darauf wartete, dass der Lakai mit der abschlägigen Nachricht zurückkam. Diese Information könnte sich als wertvoll erweisen, falls er mitten in der Nacht durch das Haus schlich und einen blonden Engel im Schlepptau hatte.
Eines war ihm jedenfalls klar geworden: Lord Brandon wollte es ihm nicht zu leicht machen, sonst hätte er die Verlobung mit Clarissa freiwillig gelöst. Daher musste von Vennigan zu extremeren Maßnahmen greifen, um sein zukünftiges Glück zu sichern. Schließlich hatte Clarissa ihn angefleht, sie zu retten.
Er schlenderte um das Haus herum und fragte sich, welches der Fenster zu Clarissas Schlafgemach gehören mochte. Ob sie beobachtete, wie er um den Garten herumschlich und nach einem Weg ins Innere des Hauses suchte? (Viel wichtiger wäre es ja, einen Weg aus dem Haus zu finden.)
Nach einer Viertelstunde hatte von Vennigan genug gesehen. Er kehrte in sein Hotel zurück und befahl seinen Bediensteten, seine Sachen zu packen. Morgen würde er wie geplant abreisen. Wenn Gott, das Schicksal oder Fortuna auf ihn hinablächelten, segelte sein Schiff aus England fort, und neben ihm stünde Clarissa. Hand in Hand würden sie zum Horizont blicken, wo ihre Zukunft wartete.
Richmond House
Im Frühstückszimmer
Es war ein merkwürdiges Gefühl, mit den eigenen Eltern zu frühstücken, die in Wahrheit nicht ihre eigenen Eltern waren. Clarissa hatte nie Verdacht geschöpft … Eigentlich fragte sie sich sogar, ob dieses Manöver nur eine Lüge ihrer Mutter war, um sie in die Ehe mit Lord Brandon zu zwingen. Es gibt Hunderte Liebesbriefe, und Eleanor hat gewissenhaft Tagebuch geführt. Ich werde dir die Sachen geben, sobald du mit Lord Brandon verheiratet bist. Das waren ihre Worte gewesen.
Sie wünschte sich verzweifelt, die Wahrheit über ihre echte Mutter zu erfahren. Und ihren Vater.
Ihre Mutter – oder sollte sie jetzt lieber von ihrer Tante sprechen? – beharrte unerbittlich darauf, dass sie den Duke heiratete und dem Prinzen eine Abfuhr erteilte. Clarissas Schreibsachen waren konfisziert worden. Man hatte sie nicht in ihrem Zimmer eingeschlossen, doch es hatte sie auch niemand ermutigt, es zu verlassen. Nur zum Frühstück mit diesen Leuten, die sie aufgezogen hatten, wurde sie hinzugebeten. Der Duke und die Duchess of Richmond. Ach ja, und sie musste später am Tag zur finalen Anprobe ihres Hochzeitskleids. Zweifellos würde ein halbes Dutzend Dienerinnen und Lakaien sie dabei bewachen.
Es verstand sich von selbst, dass keiner von Fredericks Briefen sie erreicht hatte. Er hatte heute früh an der Tür von Richmond House geläutet, aber Lady Richmond ließ ihn nicht vor. Clarissas Herz blutete und war in jenem Moment endgültig gebrochen.
Eine Frage blieb: Sollte sie sich für den Prinzen oder für den Duke entscheiden?
Den einen liebte sie; den anderen nicht. Sie könnte von Vennigan heiraten und ihre Familie, ihr Land und alles, was ihr vertraut war, einfach hinter sich lassen. Sie könnte auch Lord Brandon heiraten und die Wahrheit über ihre Mutter und ihren Vater erfahren. Sie könnte dann in einer lieblosen Ehe leben, in der ihr Ehemann sich ständig nach Sophie verzehrte oder sie irgendwann sogar zu seiner Mätresse machte.
Im Grunde hatte sie keine Wahl. Sie musste Frederick heiraten.
Trotzdem war sie nicht sicher, ob sie das erforderliche Maß an Tatkraft besaß, dessen es für diesen dramatischen, skandalösen und unglaublichen Akt bedurfte: den Duke in letzter Minute sitzen zu lassen, um mit einem Prinzen davonzulaufen.
Allein die Vorstellung ließ in ihr eine Welle der Übelkeit aufsteigen. Ihre Haut fühlte sich kribblig an, obwohl das Kribbeln nicht unangenehm war.
Ihr Vater – oder Onkel? – redete wieder über sein Lieblingsthema. Clarissa blendete seine Stimme aus. Sie fragte sich, wie sie ihre Eltern in Gedanken ansprechen sollte, und kam schließlich zu dem Ergebnis, die Scharade aufrechtzuerhalten, die ihr Leben bisher schon
Weitere Kostenlose Bücher