Lady meines Herzens
bestimmt hatte.
»Lord Burbroke und ich haben darüber diskutiert – und es war eine ziemlich lebhafte Diskussion –, welcher Elternteil den größeren Einfluss auf ein Fohlen hat: die Stute oder der Hengst«, erklärte Lord Richmond seiner Frau und Clarissa. Die Frauen blickten ihn mit unbewegter, scheinbar interessierter Miene an; mit den Gedanken waren beide eindeutig woanders. Clarissa versuchte wenigstens, ihm zuzuhören.
»Und ich musste ihn darauf hinweisen«, fuhr er fort, »dass die Nachkommen in der Herde fast immer den Rang einnehmen, den die Mutter zuvor innehatte, da beide zumeist dasselbe Temperament haben.«
Das klingt gerade so wie bei den Müttern und Töchtern der besseren Gesellschaft, dachte Clarissa. Würde sie eher nach ihrer leiblichen Mutter kommen oder nach der Duchess? Würde sie mit dem Mann durchbrennen, den sie liebte, wie es ihre Mutter einst getan hatte? Oder würde sie wie die Mutter, die sie ihr Leben lang gekannt hatte, den Mann heiraten, von dem jeder glaubte, er sei der Richtige für sie?
»Vielleicht sollten wir das nicht gerade beim Frühstück diskutieren«, sagte Lady Richmond. Ihre Stimme klang zugleich scharf und gelangweilt. Aber natürlich stieß sie bei ihrem Mann auf taube Ohren. Clarissa fand es einfach traurig. Niemand wollte mit ihrem Vater über sein Lieblingsthema reden. Und die wahre Tragik enthüllte sich ihr erst jetzt, denn er war von der Zucht besessen und hatte nie ein eigenes Kind gezeugt. Wenn sie Lord Brandon heiratete und ein Kind bekam, ginge der Titel an dieses Kind über, in dessen Adern kein einziger Tropfen Richmond-Blut floss.
Er war ihr stets ein guter Vater gewesen. Sie schwor sich, dass er dieses Geheimnis ihrer Herkunft niemals erfahren durfte.
Der Duke ignorierte die Duchess. Sie mochten einander nicht, das war kein Geheimnis. Clarissa wollte nicht so leben wie die beiden. Wenn sie Frederick heiratete …
Sie glaubte nicht, dass eine Liebe wie jene, die Frederick und sie verband, je zu Ende gehen konnte. Das würde sie nicht zulassen. Wenn sie bloß ihre Nervosität bezwingen und die Kraft finden würde, diesen einen Akt des Ungehorsams zu begehen …
»Wenn man mal darüber nachdenkt, was ich ausgiebig getan habe, das versichere ich euch, dann ist das Fohlen doch eigentlich die meiste Zeit mit seiner Mutter zusammen. Das fängt schon im Uterus an. Und ich kann einfach nur immer wieder meine Lieblingsstute Magnolia als Beispiel anführen. Egal welchen Hengst ich ausgewählt habe, die Fohlen schlugen immer nach der Mutter«, sagte Lord Richmond. »Sie sind allesamt ruhig und gehorsam, aber zugleich ziemlich lebhaft, wenn die Situation es erfordert. Das sind hervorragende Eigenschaften, die jeder Frau gut zu Gesicht stehen.«
Diese Worte ließen Clarissa aufmerken.
Die große Liebe war bestimmt eine dieser Situationen, die nach beherztem Handeln verlangten. Und wenn ihre leibliche Mutter das geschafft hatte, konnte Clarissa das auch.
Bloomsbury Place 24
Morgen um diese Zeit würde Brandon sein Jawort geben. Der Gedanke verstärkte nur den schrecklichen Druck, der schwer auf Sophies Brust lastete. Sie fürchtete, ihr Herz müsste an dieser gefährlichen Mischung aus Liebe, Leidenschaft, Angst, Unsicherheit, Wut und Verlangen schier zerbersten.
Die riesigen Mengen Tee, die sie vorhin getrunken hatte – ein vergeblicher Versuch, ihre Nerven zu beruhigen –, hatte sie ganz kribbelig gemacht. Sie legte sich hin, aber sie fand keine Ruhe. Darum lief sie nervös auf und ab.
In Gedanken spielte sie das Gespräch vom Vorabend immer wieder durch. Brandon hatte zu vieles zu bedenken, und das lähmte seine Entschlusskraft. Er versuchte, es allen recht zu machen. Und das führte dazu, dass niemand glücklich wurde.
Aber es waren ihre eigenen Worte, die sie in Gedanken immer und immer wieder hörte: Ich habe gegen alle Erwartungen verstoßen …
Sie war eine tapfere Frau. Zu dieser Einsicht hatte Brandon ihr verholfen. Sie blühte auf, wenn andere längst aufgaben. Schließlich war sie nicht in Chesham geblieben, nachdem Matthew sie sitzen gelassen hatte, sondern hatte im Gegenteil das Undenkbare getan und war nach London gezogen. Und dann hatte sie es sogar gewagt, sich für den Job eines Mannes zu bewerben!
Das habe ich ganz gut hingekriegt, dachte sie.
Aber ausgerechnet Lavinia hatte etwas gesagt, was Sophie bestärkte: Er ist der Richtige für mich, hatte sie gesagt. Und in dieser Aussage schwang doch mit, dass es wenig gab, was man
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