Lady meines Herzens
nicht.
»Haben Sie keine besondere Vorliebe? Seide oder Satin? Schneeweiß oder lilienweiß?«, fragte Sophie neckend.
»Nein, habe ich nicht. Aber selbst wenn, es wäre ja doch egal«, antwortete Clarissa. In ihrer Antwort schwang keine Verbitterung mit. Es war bloß eine Feststellung. Sophie lächelte ihr aufmunternd zu.
»Fanden Sie den Verlobungsball gestern Abend schön?«, fragte Sophie. Es war ein gelungener Abend gewesen. Das kurze Gespräch, das sie mit Lord Brandon hatte führen können, war das einzig Erinnerungswürdige daran; diese wenigen Minuten waren so herrlich und aufregend gewesen, wenngleich sie auch leise Schuldgefühle verspürte. Insgesamt war sie ziemlich verwirrt, weil Lord Brandon so viele widersprüchliche Gefühle in ihr hervorrief. Sie durfte sich nicht von ihm angezogen fühlen, sie wollte es ja auch gar nicht, und trotzdem …
»Es war eine schöne Feier, obwohl ich mich nie besonders wohlfühle, wenn ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe«, antwortete Clarissa. Sie betrachtete einen Ballen meergrüne Seide.
»Tatsächlich?«
»Oh ja. Ich träume davon, ein Mauerblümchen zu sein«, sagte Clarissa. Ein Seufzen schwang in ihrer Stimme mit. Beide Frauen wussten, dass nicht nur ihr gutes Aussehen, sondern auch ihre Mutter es niemals zulassen würde, dass sie unbemerkt in einer Ecke steht und den Tänzern auf einem Ball nur zuschaut. Auch als die nächste Duchess of Hamilton and Brandon würde sie dazu nie Gelegenheit bekommen.
»Darauf wäre ich nie gekommen. Sie halten sich bewundernswert«, sagte Sophie. Es stimmte: Clarissa war so elegant, geduldig und freundlich. Sie hatte alles, was eine Duchess brauchte. Kein Wunder, dass Brandon sie ausgesucht hat, dachte Sophie. Sie verspürte einen eifersüchtigen Stich. Mit so einer Schönheit konnte sie niemals konkurrieren.
»Ich danke Ihnen. Gewöhnlich ist es erträglich, aber wenn man Walzer tanzt, während halb London dabei zusieht und es keine andere Ablenkung gibt … Das war wirklich eine Nervenprobe«, gab Clarissa zu.
»Sie haben Ihre Nervosität bewundernswert gut versteckt.«
»Das liegt an Lord Brandon, der sich aufmerksam um mich gekümmert hat. Er würde niemals zulassen, dass eine Lady einen Tanzschritt auslässt oder sich in die falsche Richtung dreht«, sagte Clarissa.
»Nein, niemals«, stimmte Sophie zu. »Man kann sich auf ihn verlassen. Er macht auf mich stets einen so selbstsicheren Eindruck.« Das war einer von vielen Gründen, warum sie ihn bewunderte. Manche Frauen verliebten sich in die schneidigen, wilden und gefährlichen Männer. Sophie hatte auf die harte Tour gelernt, was diese Männer anrichteten.
Natürlich umgab auch Brandon ein gewisser Hauch von Gefahr. Aber diese Gefahr ging eher von ihren eigenen Gefühlen aus und nicht von seinem Benehmen.
»Ich habe ihn bisher nie anders erlebt. Er ist immer unglaublich gelassen. Außerdem ist mir nie zu Ohren gekommen, dass er die Stimme erhebt, seine guten Manieren vergisst oder etwas in der Art«, fuhr Clarissa fort.
»Er klingt fast zu perfekt«, sagte Sophie. Erst jetzt ging ihr auf, warum sie so viel Spaß daran hatte, ihn zum Lachen zu bringen. Weil sie dann einen Blick auf den Teil seiner Persönlichkeit erhaschen durfte, den er gewöhnlich hinter seinem reservierten Auftreten und dem perfekten Verhalten verbarg. Sie hatte diese Seite von ihm zum Vorschein gebracht, und sie bezweifelte, dass Clarissa dasselbe gelang.
»Ich bin sicher, er hat irgendeine Schwäche. Jeder hat eine«, sagte Clarissa.
»Was ist Ihre Schwäche?«, fragte Sophie neugierig, weil Clarissa ebenso perfekt schien wie ihr Verlobter. Als ihr Gegenüber errötete und sich nach allen Seiten umschaute, ob sie auch niemand belauschte, schmunzelte Sophie.
»Versprechen Sie, es niemandem zu verraten?«, fragte Clarissa flüsternd.
»Ich gebe Ihnen mein Wort«, antwortete Sophie.
»Ich kann nicht singen«, gestand Clarissa. Das war alles?
»Was meinen Sie?«
»Ich kann nicht nach Noten singen oder auch nur einen Ton halten. Ich habe schreckliche Angst vor Musikabenden. Im Vorfeld entwickle ich oft plötzlich auftretende Halsschmerzen«, gestand Clarissa. Sie wurde rot.
Sophie kicherte.
»Jetzt müssen Sie mir aber auch Ihre Schwäche gestehen«, verlangte Clarissa.
»Ich verliere ständig Sachen. Einen erschreckend großen Teil meiner Zeit verbringe ich mit der Suche nach verlegten Dingen. Ohrringe, Haarbänder, mein Retikül, mein Notizblock, meine Bleistifte
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