Lady Sunshine und Mister Moon
von zu wenig Stoff herausgestellt. Die weiche Baumwolle schmiegte sich an seine Brust wie ein Liebhaber an seine Geliebte. Das T-Shirt spannte etwas an seinen Bizeps, und obwohl es locker über die Bauchmuskeln fiel, war der Schaden angerichtet. Sie hatte bereits alles gesehen. Und unglücklicherweise war ihr Gedächtnis sich nicht zu schade, ihr diese Bilder immer und immer wieder vorzuspielen.
Sie dankte Gott für Treenas und Jax’ Ankündigung. Das hatte sie gerettet. Bis dahin war Carly am Rande der Panik gewesen – gefangen zwischen Wolfgangs lässiger Kleidung, die kaum etwas verhüllte, und der Tatsache, dass er sich zum ersten Mal halbwegs zivilisiert benahm. Und vor allem der Furcht, dass jeden Augenblick jemand ihr offensichtliches Verlangen bemerken könnte. Oder dass sie ihn anspringen könnte.
„Jones anspringen“, sagte sie laut zu ihren vierbeinigen Begleitern und schüttelte den Kopf. „Das klingt wie eine Zeile aus einem Rap-Song, findet ihr nicht?“
Sie bekam keine Antwort.
Wenig später rollte sie auf den Krankenhausparkplatz und starrte aus dem Fenster auf das moderne mehrstöckige sandsteinfarbene Gebäude. Sie verbrachte mehrere Minuten damit, ein- und wieder auszuatmen, bevor sie die Hände ausschüttelte, die Hunde an die Leine nahm und aus dem Wagen kletterte. Danach nahm sie den Katzenkorb vom Rücksitz und steuerte auf das Krebszentrum zu. Es war höchste Zeit, sich darauf zu besinnen, weshalb sie hier waren. Und es war längst allerhöchste Zeit, ihr verrücktes Verlangen nach Jones auf Eis zu legen. Stattdessen sollte sie lieber darauf achten, dass Rufus seinen ersten Auftritt perfekt hinter sich brachte. Dieser Morgen gehörte Iago, nicht ihrer völlig verkorksten Libido.
Der Achtjährige saß aufrecht in seinem Bett und las in einem Spiderman-Comic. Neben der Tür stand ein Koffer.
„Hey, Iago! Hast du etwa schon gepackt?“, fragte Carly fröhlich, als sie in sein Zimmer schneite. „Ich wette, du kannst es kaum erwarten, nach Hause zu kommen.“
„Miss Jacobsen!“ Seine dunklen Augen erhellten sich. Er warf das Comicheft beiseite und richtete sich noch weiter auf. „Sie sind wirklich gekommen!“
„Natürlich bin ich das. Ich hatte dir doch einen ordentlichen Abschied versprochen! Buster, Rags und Tripod kennst du ja schon. Ich fürchte, die Katzen sind noch ein bisschen verstört von der Autofahrt und brauchen noch eine Minute.“ Sie stellte den Katzenkorb auf dem Boden ab und öffnete das Türchen. „In der Zwischenzeit …“, sie führte den Frischling nach vorn, „… möchte ich dir Rufus vorstellen.“
Iago war untergewichtig und kahl, aber als sein Gesicht zu leuchten begann, war nichts anderes mehr wichtig. „Oh, wow! Das ist der coolste Hund, den ich je gesehen habe!“ Er warf Buster einen schuldbewussten Blick zu. „‚tschuldigung, Buster. Du bist auch cool. Es ist einfach nur so, dass du … ähm …“
„Ein bisschen blöd aussiehst“, vervollständigte Carly den Satz. Sie kraulte das Fellbüschel zwischen Busters Ohren und grinste den Jungen an. „Das ist schon okay. Buster ist nicht empfindlich. Er ist sich seiner Männlichkeit sehr wohl bewusst, und er weiß, dass sein toller Charakter alles andere mehr als wettmacht.“
Nun grinste auch Iago. Er klopfte auf die Matratze. „Komm her, Kleiner“, sagte er zu Rufus, und sein Lächeln wurde noch breiter, als der Hund neben ihm aufs Bett sprang und ihm das Gesicht ableckte.
Es war ein klarer Fall von Liebe auf den ersten Blick. Iago war immer schon begeistert gewesen, wenn Carly ihn mit ihren Tieren besucht hatte, aber er hatte noch nie so reagiert wie auf Rufus. Und Rufus? Der klebte an dem Jungen wie Lassie an Timmy. Er lag zusammengerollt neben Iago, sein Kopf auf seinem Schenkel und den Blick in verzückter Hingabe auf das Gesicht des Jungen gerichtet.
Mrs. Hernandez erschien zwanzig Minuten später. Inzwischen lagen zwar alle vier Tiere auf Iagos Bett, doch offensichtlich war Rufus die Hauptattraktion für den kleinen Jungen. Während seine Mutter Postkarten, Fotografien und einen Stapel Comics einpackte, ließ Carly das zerbrechliche Kind nicht aus den Augen. Iago schien zerrissen zu sein zwischen dem Wunsch, endlich nach Hause zu gehen, und der Trennung von seinem neu gefundenen Seelenverwandten.
Da schoss ihr ein radikaler Gedanke durch den Kopf, den sie gleich wieder verscheuchte. Dennoch kehrte er hartnäckig wieder. Ihr Herz begann von innen gegen ihre Brust zu trommeln. Auf
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