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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Schloß ein Doppelzimmer für Anneliese und mich reserviert. Die Studenten wollen bei Freunden übernachten, doch bevor sie sich dort einquartieren, speisen wir noch gemeinsam im Restaurant Mauganeschtle zu Mittag. An der Bank zum Eingang hängt ein Schild:
     
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    Es dauert eine ganze Weile, bis wir das Schwabenrätsel geknackt haben und uns bei sauren Nierle, Schupfnudeln und Trollinger von den Strapazen der Reise erholen. Ricarda belehrt uns, daß Tübingen der geographische Mittelpunkt Baden-Württembergs sei und das exotische Schild des Restaurants bedeute, daß man hier immer wieder gern herkomme. Dann verlassen wir unsere Begleiter, gehen ins Hotel und legen uns für ein Stündchen aufs Ohr. Schließlich soll es eine Vergnügungsreise werden.
     
    Ich muß fest geschlafen haben, als ich schon nach einer halben Stunde von Anneliese wieder hochgescheucht werde. Ich weiß, es zieht sie zum Hölderlin-Turm, in dem der kranke Dichter bis zu seinem Tod bei einer Schreinerfamilie gewohnt hat.
    Wenn Anneliese nicht durch die Gartenarbeit erschöpft ist und ein Ziel vor Augen hat, dann ist sie ganz gut zu Fuß. Wir laufen mindestens zwei Stunden durch die Altstadt und am Neckarufer entlang, bis sie eine Pause braucht. Im Gartencafé treffen wir auf unsere Studenten, die dort mit ihren Freunden beim Espresso sitzen.
    »Wir haben gerade beschlossen«, sagt Moritz, »daß wir Sie zur Abwechslung heute abend einladen, Rikki kennt ein uriges Lokal.«
    »Dort ist es aber ziemlich laut«, sagt Ricarda, »wenn Sie das nicht stört?«
    »Wird gesungen?« fragt Anneliese.
    »Also Gaudeamus igitur und andere olle Kamellen gibt es dort nicht«, sagt Moritz, »dafür aber echte Gaisburger Marsch, Käsespätzle, Maultaschensuppe und andere regionale Schmankerln.«
    »Wenn nicht herumgegrölt wird, bin ich gern dabei«, sage ich, »aber meine Freundin wird enttäuscht sein. Sie würde für ihr Leben gern eine Studentenverbindung in den Schatten stellen und selbst ein paar Lieder schmettern!«
    Neugierig betrachten die beiden die blond gefärbte Anneliese. Die Lichtreflexe auf ihrem Haar wirken plötzlich ein wenig ordinär.
    »Sie sind also eine Rampensau?« fragt die freche Ricarda, und Anneliese ärgert sich über diesen Ausdruck.
     
    Als wir wieder im Hotel sind und uns für das abendliche Rendezvous feinmachen, fängt sie an zu schimpfen.
    »Die Kleine gefällt mir nicht«, sagt sie, »die ist mir zu respektlos! Vom Alter her könnte ich schließlich ihre Großmutter sein! Wir hätten nur den Moritz mitnehmen sollen. – Soll ich das neue Pünktchenkleid tragen? Leider passen die Turnschuhe nicht dazu, aber auf diesem Pflaster kann man kaum etwas anderes anziehen, und ich will ja keine Blasen an den Füßen bekommen.«
    Da es sicher kein teures Lokal ist, in dem wir speisen werden, ziehen wir schließlich beide nur eine frische Bluse an.
    Es wird ein heiterer Abend. Ricarda und Moritz amüsieren sich zwar über Dinge, die wir nicht richtig begreifen, aber wir lachen trotzdem.
    »Und morgen geht’s zum Blautopf«, sagt Anneliese fröhlich. »Da muß man gar nicht viel herumlaufen, sondern kann still am Ufer stehen und stundenlang in das geheimnisvolle Blau hineinschauen. Wenn wir Glück haben, taucht sogar die Wasserfrau auf.«
    Auch die angehenden Tierärzte kennen die Sage vom Blautopf und der schönen Lau. Sie überlegen, welcher große Fisch sich in einer Karstquelle tummeln könnte, den man in früheren Zeiten für eine Nixe gehalten hat.
    Ricarda spielt sogar auf ein Volkslied an und scherzt: »Vielleicht war es bloß die Wasserleiche von Fräulein Kunigund, die der große Wels in Regensburg abgeschleppt hatte. Sie tauchte später im Blautopf auf und versetzte die Menschen bald in Begeisterung, bald in Angst und Schrecken.«
    Bei diesen Worten fährt Anneliese zusammen und möchte ins Hotel zurück.

16
    Der Blautopf hat in der Tat eine unergründlich intensive Farbe, die sich nach innen verdichtet und an den Rändern smaragdgrün schimmert. Umringt wird der tiefe Quelltrichter von Laubbäumen und meditierenden Touristen, die gedankenverloren auf dieses uralte Naturwunder schauen und es für durchaus möglich halten, daß plötzlich eine langhaarige Wasserfrau auftaucht.
    Es ist interessant, wie unterschiedlich die Betrachter reagieren: Da gibt es nüchterne Forscher wie Ricarda, beglückte Naturfreunde wie Moritz, euphorisch Begeisterte wie Anneliese und melancholische Romantiker wie mich.

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