Ladylike
vermute ich.«
Ewalds Tochter mustert ihre fachmännische Schwägerin mit kaum verhohlener Abneigung, aber in diesem Moment kommt Anneliese wieder herein. Auch ich erhebe mich von Ewalds schwarzem Bauhaussofa, auf dem wohl tagelang seine tote Frau gelegen hat. Wir tauschen noch die Telefonnummern aus und verabschieden uns.
Draußen spielt das kleine Mädchen immer noch die Gärtnerin: »Ich übe nur ein bißchen. Wenn Oma ein richtiges Grab hat, werde ich jeden Tag ihre Blumen gießen!« verspricht sie fröhlich.
Es ist wichtig, noch ein paar Minuten mit Anneliese unter vier Augen zu reden. Zwar machen wir fast synchron den Mund auf, aber sie ist schneller.
»Man hätte uns ja anstandshalber etwas zu trinken anbieten können«, beschwert sie sich. »An der Stelle der Schwiegertochter hätte ich doch wenigstens Kaffee gekocht!«
»Wie sieht das Gästeklo aus?« frage ich.
Beige Kacheln, sagt Anneliese, etwa auf jeder zehnten Fliese eine Mohnblüte. Die Küche dagegen ganz in Blau mit Kornblumendekor.
»Wieso – warst du etwa in der Küche?«
Sie nickt bloß und grinst wie ein ertapptes Schulkind. »Ich hatte doch Durst«, behauptet sie. »Aber wie gefällt dir der Junge? Ist er nicht entzückend?«
»Wenn du Ewalds Sohn meinst, der sieht wirklich gut aus«, gebe ich zu, »im Gegensatz zur Tochter!«
Anneliese zeigt kein Mitleid für die Benachteiligte, sondern begeistert sich für Ewalds jugendliches Abbild: »Wenn ich einen so schönen jungen Menschen sehe, dann möchte ich noch einmal zwanzig sein! Umarmt, geherzt, geküßt, geliebt werden! Wie gemein, daß dieses Bedürfnis ein Leben lang bestehenbleibt, aber in unserem Alter die Chancen gleich Null sind.«
»Das ist der Preis, den wir für ein statistisch längeres Leben bezahlen. Und die Strafe dafür, wenn man sich vorzeitig zur Witwe macht. – Schau mal, da hinten stehen Moritz und Ricarda und warten auf uns.«
Als wollten sie demonstrieren, wie golden die Jugendzeit sein kann, liegen sich unsere Studenten in den Armen. Ich kündige unser Kommen diskret an und sage laut: »Jetzt wäre eigentlich Zeit für ein Gartenlokal!«
Schon nach kurzer Fahrt hat Ricarda ein Café entdeckt, und wir studieren die Eiskarte.
»Hab ich etwa meine Brille liegenlassen?« sagt Anneliese und wühlt in ihrer Tasche herum. Zum nächsten Geburtstag werde ich ihr ein schickeres Modell schenken.
Auch Rikki wundert sich über das Monstrum und möchte wissen, ob Anneliese früher einmal Hebamme war.
Sie schüttelt nervös den Kopf und kramt weiter.
»Keine Panik«, sage ich, »schon hundertmal habe ich gedacht, ich hätte meinen Schlüsselbund verloren, und er war doch jedesmal in einem Seitenfach oder einfach nur dort, wo er hingehört. Nimm den ganzen Plunder heraus, die Brille liegt sicherlich ganz zuunterst!«
Das tut Anneliese zwar nicht, ich bemerke aber zwei mittelgroße Blechdosen in ihrer Tasche. Hat meine Freundin einen Keksvorrat dabei? Neugierig und ein bißchen spöttisch will ich sie gerade nach ihrer eisernen Ration befragen, als sie die Brille findet und sehr erleichtert aufsetzt.
»Das könnt ihr überhaupt nicht nachempfinden«, bellt sie die grinsenden Studenten an, »wie blöd man dasteht, wenn man zum Analphabeten wird und kein Wort mehr lesen kann!«
Wie gut, daß sie im fremden Gästeklo nicht ihr Gebiß vergessen hat, denke ich, denn ich weiß, daß sie es gelegentlich herausnimmt und abspült. Gestern, bevor wir zu Bett gingen, nervte sie mich wieder mit einem uralten Kalauer: Meine Zähne und ich schlafen getrennt. Es war ein Fehler, daß ich für das nächste Hotel wieder ein Doppelzimmer gebucht habe.
»Fahren wir jetzt nach Freiburg?« fragt Ricarda und gähnt. »Das wäre von Tübingen aus zwar viel näher gewesen, aber macht nix. Geographie ist halt nicht jedermanns Sache. Autobahn oder Bundesstraße? Auf dem schnellsten Weg dauert es etwa drei Stunden.«
Wir entschließen uns für die gemütlichere Strecke. Den Bodensee haben wir aus unserem Programm gestrichen, weil es doch zuviel ist.
17
In Freiburg entscheiden wir uns gegen die regionale Küche, weil in unserer Hotellounge eine unerhört verlockende Speisekarte aushängt.
Ricarda und Moritz machen große Augen, als sie sowohl ein komfortables Doppelzimmer beziehen dürfen als auch zum Abendessen eingeladen werden. Bescheiden wählen sie nur das zweitteuerste Menü aus, und wir schließen uns an, weil es so verführerisch klingt:
Ingwer-Karottencremesuppe mit
Weitere Kostenlose Bücher