Ladylike
grünen
Hummerravioli
Spanferkelkarree an gebratenen Steinpilzen
Vermicelles mit Meringuen, Schlagsahne und Zimt-Schokoladensauce
Als Anneliese nach der Brille sucht, stelle ich mit Erleichterung fest, daß sie den Inhalt ihrer Tasche inzwischen reduziert hat. Natürlich will sie auch diese Speisekarte wieder einsacken.
»Wir sind doch jetzt ein gut eingespieltes Team, warum machen wir nicht im Frühling die nächste Reise?« fragt Ricarda und dreht Weißbrotkügelchen in den Handflächen. »Nicht, daß mir unsere jetzige Tour im geringsten mißfiele, aber es gibt vielleicht noch tollere Möglichkeiten!«
»Was schlagen Sie denn vor?« frage ich belustigt. Mir gefällt es, wenn kecke junge Leute das Blaue vom Himmel herunterholen wollen.
Anscheinend haben sie bereits einen Plan ausgeheckt, und Moritz darf ihn uns schmackhaft machen.
»Man könnte zum Beispiel nach Sevilla fliegen, dort einen Leihwagen nehmen und quer durch Andalusien gurken. In Almuñeca blühen Margeriten und Iris bereits im März!«
Der kluge Junge weiß, daß man ältere Damen mit Blumen verführen kann.
Aber Anneliese, die sich gerade ein winziges Laugenbrötchen dick mit Kräuterbutter bestreicht, schüttelt sofort den Kopf. Ich weiß natürlich, was jetzt folgt. »Keine zehn Pferde bringen mich in ein Flugzeug!«
Das kommt derart unmißverständlich, daß Ricarda laut auflacht. »Und Sie?« fragt sie mich, »haben Sie etwa auch Flugangst?«
Ausgerechnet ich, die einmal Pilotin werden wollte! Wie schön wäre es, wenn ich mit Ewald in den Süden fliegen könnte, geht es mir durch den Kopf, der würde es ebenso genießen wie ich.
Ob sie schon einmal unangenehme Turbulenzen erlebt habe, fragt Moritz teilnahmsvoll, aber Anneliese weicht aus.
»Kinder, wir wollen jetzt das Essen genießen. Vielleicht verrate ich euch später, warum mir Flugzeuge zuwider sind.«
Auch der badische Rotwein schmeckt köstlich, die ersten beiden Flaschen sind im Nu ausgetrunken, eine dritte wird für uns geöffnet. Anneliese löffelt ein zweites Maronenpüree, denn Ricarda kann nicht mehr papp sagen und muß beim Nachtisch passen. Ich beobachte die Tischmanieren der jungen Leute und frage mich, warum ihre Eltern ihnen nicht beigebracht haben, daß Servietten keine Dekoration sind.
Als wir alle angenehm satt und müde sind, fragt Moritz erneut nach Annelieses Flugangst.
»Das ist aber keine schöne Geschichte«, sagt sie, und ich spitze die Ohren.
Im letzten Kriegsjahr hatten Anneliese und ich an verschiedenen Orten gelebt, und daher hatte ich von ihrem traumatischen Erlebnis bis heute nichts erfahren. Weil die Versorgung auf dem Land etwas besser aussah, war Annelieses Mutter mit ihren Kindern zu einer Kusine in die Eifel gezogen. Doch vor Fliegeralarm blieb man selbst dort nicht völlig verschont. Die Städter waren keine willkommenen Gäste. Man triezte sie mit unbeliebten Hilfsarbeiten. Annelieses Mutter schuftete auf den Feldern, ihre beiden Töchter wurden täglich mit einem Leiterwägelchen in den Wald geschickt, um Holz zu sammeln.
»Wir wären lieber in die Schule gegangen, denn wir konnten den beladenen Karren kaum ziehen. Aber immerhin haben wir auch Himbeeren gefunden und sofort verputzt und haben gesungen«, sagt Anneliese. »Kinder stimmen ja in schlechten Zeiten nicht gleich in das Lamento der Erwachsenen ein. An den Lärm der Flugzeuge hatten wir uns beinahe gewöhnt.«
Doch mitten beim Sammeln stolperten sie fast über einen Mann, der am Rande einer Schonung unsanft vor ihnen landete; sein zerfetzter Fallschirm hatte sich wohl in den Ästen einer hohen Fichte verfangen. Ihre kleine Schwester schrie vor Angst laut auf und lief sofort nach Hause, während Anneliese neugierig stehenblieb und sich anhörte, was der Soldat in einer fremden Sprache zu ihr sagte. Wahrscheinlich hatte er ein Bein gebrochen, denn er scheiterte bei dem Versuch, auf die Füße zu kommen. Schon damals gehörte Anneliese nicht zu den zaghaften Naturen, sondern wollte wissen, was das für ein seltsamer Vogel war und ob man einem wehrlosen Feind nicht helfen mußte.
Anneliese stockt und wird blaß. Wir erwarten Schlimmes. Wurde sie vergewaltigt?
Doch sie erzählt weiter, daß plötzlich die alten Männer des Dorfes nahten, mit Schaufeln und Mistgabeln bewaffnet. Es sah so bedrohlich aus, daß sie sich schnell hinter einem Holzstoß versteckte. Von hier aus mußte Anneliese zusehen, wie sie den Verletzten erschlugen. Sie gab keinen Laut von sich. Sie hatte
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