Ladys Zirkel: Die Fotografin (German Edition)
hatte. Sie liebte und wurde geliebt- dachte sie. Doch in der schwersten Stunde ihres Lebens, als der Mann den sie geheiratet hatte, bei einem Motorradunfall ums Leben kam und sie vor Trauer sterben wollte, zog ihr eine Frau den schmalen Steg, der sie vor dem Abgrund schütze, unter den Füßen weg.
Sie stand am Tag der Beerdigung vor der Haustür und gestand weinend die Liebe der beiden. Sie wollte in der Trauer nicht alleine sein und sah in Lexa eine Leidensgenossin und hoffte auf gegenseitigen Trost. Vielleicht wäre Mitleid angebracht gewesen, aber ihr dick gewölbter Bauch, der sich unter ihrem Umstandskleid abzeichnete, versetzte Lexa nur in Wut. Sie verwies sie der Tür und sagte ihr, dass sie sie nie wieder sehen wolle. Trauer wich Wut und Wut wich völliger Gefühllosigkeit. Sie war zu nichts mehr fähig und wollte es auch gar nicht sein. Sie ließ sich völlig gehen.
Und selbst das einzig Gute aus ihrem früheren Leben mit ihrem Mann, ihre kleine Tochter Annabelle, konnte ihr keinen Antrieb geben. Aber zumindest hielt sie sie am Leben. Wäre Lexas Mutter nicht gewesen, die sich liebevoll um die kleine Bella kümmerte, wäre sie bestimmt völlig verwahrlost und vielleicht hätte man ihr das Sorgerecht entzogen. Glücklicherweise konnte sie sich auf ihre Mutter immer verlassen. Auch heute lebten die drei gemeinsam in einer Wohnung über dem Club und genossen das Leben. Nachts, wenn Lexa auftrat, war Annabelle nicht allein und während Annabelle in der Schule war, holte Lexa ihren Schlaf nach. Die restliche Zeit des Tages konnte Lexa mit ihrer Tochter verbringen. Ihre Mutter konnte sich dann um ihre zahlreichen Ehrenämter und Hobbys kümmern oder schloss sich ihnen an.
Und letztendlich verdankte sie dieses Leben dem Zirkel.
Lexa konnte schon immer ihre Gefühle am Besten durch ihre Stimme ausdrücken. An einem tristen Montagmorgen stand sie mal wieder am Grab ihres Mannes und betrauerte die schöne Zeit in ihrem gemeinsamen Leben, doch noch viel mehr sich selbst. Der Wunsch zu singen überkam sie, und sie verwandelte die Trauer in ein Lied ohne Text. Sie wähnte sich in der Morgendämmerung alleine und stimmte ihr Lied an. Dies verwandelte sich durch die Wut in ihrem Bauch, in einen lauten Zornesgesang.
Um das Grab ihrer Großeltern zu pflegen war Kim an diesem Morgen auch auf dem Friedhof. Sie erledigte das gerne vor der Arbe it, weil ihr sonst die Zeit fehlte. Eine schwermütige Melodie voller Zorn lockte sie an wie die Flöte des Rattenfängers von Hameln ein pelziges Nagetier.
Als der letzte erstickte Ton über Lexas Lippen kam und sie danach in Tränen ausbrach, nahm Kim diese fremde Frau spontan tröstend in den Arm. Aller Schmerz der Welt quoll aus den Augen dieser Frau heraus. Eine Stunde saßen sie gemeinsam auf einer Bank am Rande des Friedhofs und unterhielten sich über das Leben und den Tod. Und über Lexas Stimme.
Kim war so fasziniert von ihr und bekräftigte sie, solch einen Schatz nicht verkommen zu lassen. Lexa begriff, dass Kim Recht hatte und nicht nur was ihre Stimme betraf, sondern auch mit ihrem Leben und ihrem Kind.
Wie Lexa heu te wusste, war nicht nur in ihr der Wunsch, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen gekeimt, sondern auch in Kim. Auf einmal boten sich Möglichkeiten zum Vorsingen für Lexa und Dinge fügten sich, die sie für unmöglich gehalten hätte.
Sie war unwissendlich ein Schützling des Zirkels geworden.
Als sie Kim das nächste Mal sah, hatte sie bereits das Engagement im Club. Kim suchte sie auf, in Begleitung dreier Frauen, die sie als Katharina, Yvette und Brigitte vorstellte. Lexa hörte von der Hintergrundarbeit, Sinn und Zweck des Zirkels, der ihr ermöglicht hatte, so schnell so weit zu kommen. Seit dem war sie ein Teil von ihnen und stellte fest, wie sehr ihr Freundschaften gefehlt hatten.
Doch ihre gefühlskalte Schutzmauer baute sich immer wieder auf, wenn Fremde, gerade Männer, sich ihr annäherten. Es gab zwar immer mal wieder einen Verehrer , von dem sie sich umschmeicheln ließ, aber ihr Herz versteckte sie bewusst hinter ihrer Maskerade und erlaubte nicht mehr als ein leichtes Umwerben.
Nach dem Shooting auf dem Pferdehof war sie in einem Taxi zu Brigittes Boutique gefahren. Zum einen hatte sie Linda versprochen die Kleider wohlbehalten zurück in den Laden zu bringen. Zum anderen wollte sie natürlich berichten, wie der Tag verlaufen war. Sie saß auf dem weinroten Sofa in der Mitte des Verkaufsraums und war in Gedanken versunken.
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