Längst vergangen: Thriller (German Edition)
der Notiz auf der Karte fordern Sie meine Frau auf, sie anzurufen.«
»Das muss jemand anderes geschrieben haben.«
»Dies ist die einzige Telefonnummer.«
Lisa bedauert erneut.
Ich fühle einen dumpfen Schmerz hinter den Augen, und ich drücke mir die Fingerspitzen an die Stirn.
Es hilft nichts.
»Wir können einen Termin für eine Sitzung vereinbaren, wenn Sie möchten. Es könnte die Lage etwas erhellen, Ihnen vielleicht einen Weg aufzeigen, den Sie noch nicht in Betracht gezogen haben ...«
»Ich brauche keine Scheißsitzung.« Meine Stimme klingt grob, aber das ist mir egal. »Ich muss wissen, worüber Sie geredet haben, ob sie irgendwas Wichtiges gesagt hat.«
Lisa hält inne. »Mr. Reese, selbst wenn ich mich mit Ihrer Frau getroffen hätte, würde ich Ihnen nicht sagen können, worüber wir geredet haben. Das sind vertrauliche Informationen.«
»Lassen Sie mich raten: hellseherische Schweigepflicht?«
Lisa seufzt. »Ich glaube, das ist etwas eher Spirituelles, aber ja ... darauf läuft es hinaus.«
Der Schmerz hinter meinen Augen beginnt zu glühen, und ich spüre, wie sich meine Brustmuskeln anspannen.
Ich zwinge mich, zu atmen.
Als ich sicher bin, dass ich nicht schreien werde, sage ich: »Hören Sie, Sie sind meine letzte Hoffnung. Meine Frau wird vermisst, und ich muss sie finden. Sie hat keine Familie, keine engen Freunde. Ich habe einzig und allein Ihre Karte und ...«
»Mr. Reese, ich ...«
»Nein«, sage ich, und meine Stimme wird lauter. »Tun Sie das nicht! Wimmeln Sie mich nicht ab.«
»Aber ich kenne Ihre Frau nicht. Verstanden?«
Von da an nimmt die Qualität unseres Gesprächs ab.
Es endet damit, dass Lisa einhängt und ich in der Küche stehe und in eine tote Leitung schreie.
– 12 –
Ich verbringe den Rest des Tages damit, das ganze Bier aus dem Kühlschrank zu trinken. Es mildert meine Kopfschmerzen, und eine Weile fühle ich mich nicht allzu mies. Erst als ich Nolan anrufe und die Vermisstenanzeige aufgebe, fange ich an, über etwas Stärkeres nachzudenken.
Die Sonne geht unter, und das Haus wird dunkel. Ich spiele mit dem Gedanken, zum Schnapsladen auf dem Campus zu gehen und mir eine Flasche zu holen, aber ich will nicht vom Telefon weg, für alle Fälle.
Schließlich wird es so schlimm, dass ich mir meinen Mantel schnappe und mich zwinge, rauszugehen.
Der Wind ist kalt und schneidet mir in die Haut. Im Gehen ziehe ich mir den Reißverschluss eng bis zum Hals. Auf dem Weg zur Universität begegnet mir kein Auto. Dann sind sie überall.
Ich kann keinen Schritt weitergehen.
Ich stehe auf der anderen Straßenseite und bin unfähig, mich zu bewegen. Meine Knöchel schmerzen, weil ich die Hände so fest zusammendrücke. Ich ziehe sie aus den Taschen und massiere den Schmerz weg, dann gehe ich zur Hauptstraße hinüber und nehme eine Abkürzung durch einen Garten, Richtung Norden zur Fifth Avenue.
Ein paar Häuser weiter ist eine Party in vollem Gang. Ich sehe einige Leute draußen auf der Veranda, die rufen und lachen. Im Näherkommen höre ich klirrendes Glas, dann noch mehr Gelächter.
Mit gesenktem Kopf gehe ich weiter und bemühe mich, ruhig zu bleiben.
Die Fifth Avenue liegt am Ende der Straße, und ich kann den Schnapsladen sehen. Davor tummeln sich überwiegend Studenten. Alle rauchen und schwatzen, sitzen auf dem Gehweg oder lehnen sich ans Gebäude.
Ich mustere sie im Vorbeigehen.
Die Chance, einem meiner Studenten über den Weg zu laufen, ist gering, aber dieses Risiko möchte ich nicht eingehen.
Drinnen wird es noch schlimmer.
Der Schnapsladen ist winzig und überfüllt. Die Leute bewegen sich in lauten Gruppen durch die Gänge, sie reden und lachen und verbrauchen die Luft.
Ich bleibe konzentriert.
Ich weiß genau, wohin ich gehen muss.
Ich bahne mir einen Weg durch die Menge, hole mir eine Flasche Johnnie Walker Black vom Regal und gehe damit zum Tresen vorn im Laden. Ich stelle mich hinter einem älteren Paar an und frage mich, ob sie sich auch so fehl am Platz fühlen wie ich.
Die Schlange rückt zentimeterweise vor.
Rechts von mir geht die Eingangstür auf, und mehrere Mädchen kommen herein, gefolgt von einer ebenso aufgekratzten Meute Jungs.
Ich zücke meine Brieftasche.
Das Paar vor mir kauft zwei Flaschen Rotwein. Sie sind beide gut gekleidet und von hinten sehen sie ganz manierlich aus. Wie ich wohl aussehe mit meinem ungekämmten Haar, den dunklen Ringen unter den Augen und dem feuchten Hefegeruch von schalem Bier im Atem?
Ich
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