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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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Alte.
    Konrad konnte kaum hinhören.
    Er wollte sich einigeln, untertauchen.
Aber nicht in alten Strukturen, sondern in einem neuen Umfeld. Und das würde er
auf der anderen Seite der mit Graffiti besprayten, stacheldrahtverstärkten Mauer
finden, so viel hatte er mitgekriegt.
    Immer öfter steckte Konrad seinen schwedischen
Pass ein und spazierte zur Friedrichstraße oder zum Checkpoint Charlie, wo er mit
Bedacht die Blicke der mürrischen Grenzer mied, als sie ihn in den Osten hinüberließen.
    Die ersten Male war er erstaunt angesichts
der vielen Grau- und Brauntöne, des Kohlegeruchs aus den Heizkesseln, der tuckernden
Trabbis auf den Straßen und der Menschen, die immer wegschauten.
    Doch dann begann er, Nuancen wahrzunehmen.
    Die Frau im Lebensmittelladen, in dem
es neben Brot nur gräulich verfärbte Glaskonserven in den Regalen gab, lachte entzückt,
als er stümperhaft deutsch zu reden begann.
    Der junge Straßenbahnfahrer, der mit
den Achseln zuckte und darauf pfiff, dass er vergessen hatte, eine Fahrkarte zu
lösen.
    Die alte Frau, die in der heruntergekommenen
Imbissbude neben der Zionskirche Bier und Würstchen verkaufte, lächelte mit zahnlosem
Mund und tat wunderliche Prophezeiungen kund: «Ach die Mauer, die Mauer, nichts
hält ewig.»
    Und dort war es auch, um die Kirche
am Prenzlauer Berg herum, wo er den anderen begegnete. Den Mutigen. Denjenigen,
die sich nicht duckten und stillhielten.
    Konrad traf sich mit ihnen in dunklen
Kellern, auf verschlossenen Dachböden und in kalten Kirchenräumen, spät in der
Nacht. Es waren Pastoren, Professoren und Naturwissenschaftler. Arbeiter, die in
ihren verdreckten Overalls direkt von der Schicht kamen, und Punker mit Springer-Stiefeln,
nietenbesetzten Jacken und Irokesenschnitt. Es war ihnen egal, ob sie möglicherweise
abgehört wurden oder der Hauswirt ihnen nachspionierte. An der Kirche am Prenzlauer
Berg versammelten sich diejenigen, die oft Angst haben mussten, aber immer den Mut
besaßen, zu protestieren.
    Konrad unterhielt sich mit ihnen, lachte
und sang ihre Lieder mit, aber hauptsächlich hörte er ihnen zu.
    Eines Abends kam ihm eine Idee. Er
bat den alten Nazi, ihm seine Schreibmaschine zu leihen, ein altertümliches Stück
der Marke Haida, und schleppte sie hinauf in sein Zimmer auf dem Dachboden in Kreuzberg.
Dort öffnete er das Fenster und ließ die nächtlichen Geräusche hereinströmen. Dann
begann er zu schreiben.
    Am Anfang ging es nur zögerlich voran.
In der Schule hatte er schlechte Noten gehabt, auch in Schwedisch, doch einmal war
er von seiner alten Lehrerin Nordström tatsächlich für seine Phantasie gelobt worden.
Auch jetzt fielen ihm die Worte nicht wie eine Gabe des Himmels zu. Er musste sie
sich erkämpfen, sie drehen und wenden, einiges streichen und anderes hinzufügen.
Langsam, aber sicher wuchsen sie zu Sätzen heran. Und die Menschen, über die er
berichten wollte, erwachten zu Leben.
    Konrad schrieb über Helmuth, den Pastor,
der lieber Politik als Religion predigte und der schon mehrfach von der Stasi gewarnt
worden war. Über Alexi, die Bäckereigehilfin, die ihren Job verlor, weil sie aus
der Partei ausgetreten war. Er erzählte von Marlene, deren Vater vor vier Jahren
von unbekannten Männern in grauen Mänteln abgeholt und seitdem nicht mehr gesehen
worden war und die nun selbst jeden Tag ins Polizeigebäude ging und eine Erklärung
forderte. Und Konrad schrieb über die beiden Schwulen Klaus und Gerhard, die sich
weigerten, ihre Liebe zu verbergen, und die schließlich Hand in Hand die Kastanienallee
entlangspazieren konnten, ohne ständig von der Polizei belästigt zu werden.
    Als er fertig war, war die Sonne über
den Dächern aufgegangen, und er hörte die Marktschreie der Gemüsehändler, die
ihre Kohlköpfe, Gurken und Tomaten unten auf der Straße auspackten.
    Er ging hinunter zum alten Nazi und
warf einen Blick in seine Küche.
    «Du hast auf der Haida rumgehämmert,
als hättest du vorgehabt, sie zu erschlagen», brummte der Alte und stellte einen
angeschlagenen Becher mit Kaffee vor ihm auf den Tisch.
    «Auf der anderen Seite der Mauer ist
ordentlich was im Gange», erklärte Konrad.
    Der Nazi starrte ihn misstrauisch an.
    «Bist du etwa drüben bei den Roten
gewesen?»
    Er nickte.
    «Man müsste den ganzen Mist in die
Luft sprengen. Ein Bataillon Leopard-Panzer losschicken und alles niederbrennen.
Dann werden sie, verdammt nochmal, gucken», polterte der Alte, sichtlich erheitert
von seiner Idee.
    Konrad

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