Laennaeus, Olle
zu einem schwarzen bodenlosen
Abgrund vor seinen Augen weitet.
Irgendwo dahinter zischt Bernhardsson:
«Polackenschwein! Du gehörst nicht
hierher. Du hast noch nie hierhergehört.»
D as nächste
Klopfen ist eher zurückhaltend, aber laut genug, um ihm einen Fluchtweg vor dem
Tod zu ermöglichen. Konrad stürzt mit Gebrüll in Richtung Rettung.
Die Stimme auf der anderen Seite der
Tür ist hell und freundlich.
«Hallo! Konrad, ich bin's, Gertrud.»
Er setzt sich im Bett auf und blickt sich verwirrt um. Es dauert einige Sekunden,
bis er begreift, wo er ist. Es klopft erneut.
«Hallo!»
«Ah, warte bitte kurz.»
Konrad stolpert ins Bad, dreht den
Hahn auf und lässt sich eiskaltes Wasser über den Kopf laufen. In seinem Hirn zuckt
es von Blitzen. Ein hagerer Verrückter mit strähnigem, nassem Haar und verquollenen
Augen glotzt ihn aus dem gesprungenen Spiegel an.
Hastig dreht er den Blick weg und zieht
sich die Jeans und das Hemd an, die über dem Stuhl gehangen haben.
«Verdammt!», entfährt es ihm, als er
sich mit der Hand durchs nasse Haar fährt.
«Selber guten Morgen», erwidert Gertrud.
Sie betrachtet ihn verwundert, als
wäre er das letzte Exemplar einer vom Aussterben bedrohten Tierart.
«Du hast geschrien wie ein abgestochenes
Schwein.»
«Wenn du wüsstest...»
«Tut mir leid, ich hab nicht nachgedacht»,
sagt sie geniert. «Das war dumm von mir. Ich meine, wenn man an Herman und Signe
denkt...»
Er macht eine abwehrende Handbewegung.
«Ist schon okay.»
Konrad winkt sie umständlich herein.
Sie schaut sich um, entscheidet sich gegen das Bett und setzt sich dann auf die
äußerste Kante des Stuhls. Ihre rotlackierten Zehennägel lugen aus einem Paar weißer
Sandaletten heraus. Sie leuchten wie Blumen auf dem Fußbodenbelag. Ihr Haar ist
feucht, als hätte sie gerade geduscht. Sie atmet pustend aus und schaut zum Fenster.
«Ich sollte es vielleicht öffnen»,
beeilt sich Konrad zu sagen.
Er zieht die Jalousien hoch, sodass
Tageslicht hereinströmt, und kippt dann das Fenster. Es klemmt offensichtlich
gar nicht. Ein warmer Windhauch dringt ins Zimmer und füllt den Raum mit Sauerstoff.
Er sieht, dass es bereits nach zehn Uhr ist.
«Es klappt», sagt Gertrud. «Ich hab
mit der Frau in meinem Haus gesprochen. Sie will achthundert Kronen im Monat für
das Zimmer. Im Voraus, betont sie. Das ist ungefähr das, was du für eine Nacht im
Hotel zahlst.»
Konrad zögert. Ein Teil von ihm ist
immer noch voller Panik. Bernhardsson hat ihn immerhin hingerichtet. Was für ein
verdammtes Schwein! Ist denn Gertrud wirklich real? Ist er auf irgendeine mirakulöse
Weise dem Tode entronnen? Er schaudert.
«So schlecht ist es gar nicht», fährt
sie fort. «Du hast einen eigenen Eingang vom Treppenhaus aus. Die Dame wirkt ein
bisschen brüsk. Aber eigentlich ist sie ganz nett. Auf ihre alten Tage etwas verwirrt
im Kopf, sagen die Leute, aber ich weiß nicht ... Sie heißt übrigens Gudrun Vernersson.
Gudan, für die, die sie kennen.»
«Mir bleibt wohl nichts anderes übrig
...»
«Es ist nur ein Angebot. Aber ich hab
der alten Dame schon gesagt, dass du es nimmst. Und versprochen, dass du ordentlich
und reinlich und quasi Antialkoholiker bist.»
«Danke», sagt er und kommt sich wie
ein Versager vor.
Sie steht vom Stuhl auf.
«Tja, ich bin eigentlich nur gekommen,
um es dir zu sagen.»
Wieder dieses Gefühl. Sie festhalten
zu wollen. Sie daran zu hindern, wieder um die nächste Ecke zu verschwinden. Warum
kümmert sie sich eigentlich um mich?, denkt Konrad. Sie kennt mich doch kaum. Da
ist so viel, was er sie fragen will, aber in seinem Kopf bewegen sich die Gedanken
immer noch zäh wie Brei.
«Weißt du eigentlich, dass morgen Mittsommer
ist?», fragt sie unvermittelt, die eine Hand bereits auf der Türklinke.
Er schüttelt dümmlich den Kopf.
«Nein, hab so viel anderes um die Ohren
gehabt.»
«Na ja, Tanz auf dem Bootssteg kann
ich nicht bieten. Aber vielleicht ein bisschen eingelegten Hering mit 'nem Schnaps
dazu?»
Es dauert eine Ewigkeit, bis Konrad
begreift, dass sie gerade eine Einladung ausgesprochen hat. Es erscheint ihm ziemlich
lange her, dass er überhaupt irgendwo eingeladen wurde.
«Ja, ich hab nichts Besonderes vor
...»
«Hätte ich nicht gedacht.»
Die Ironie in ihrer Stimme ist nicht
zu überhören.
«Es ist sogar so, dass ich auch übermorgen
nichts Besonderes vorhabe. Und die darauffolgenden hundert oder tausend Tage auch
nicht.»
Sie lacht auf, und um ihre Augen
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