streicht. Ein Schatten auf dem Friedhof.
Es muss irgendwelche Spuren geben.
Vielleicht lebt Agnes auch irgendwo
weit weg?
Einsam in einer Wohnung in einem Ghetto
am Rande irgendeiner Großstadt. Sie muss inzwischen Rentnerin sein. Besitzt sie
ein Foto von ihm? Vielleicht befindet sie sich auch an einem weit entfernten Strand
irgendwo in Asien. Wrd sie dann an ihn denken, wenn sie auf das Meer hinausblickt?
Vielleicht sitzt sie auch glücklich lachend an einem langen Tisch auf einer schwedischen
Sommerwiese mit einem Kranz aus Margeriten und Kornblumen im Haar, zusammen mit
ihrem Mann und weiteren Kindern und Enkeln. Taucht er dann wie ein Schatten aus
der Vergangenheit in ihrem Kopf auf? Erstarrt sie für einen Augenblick unmerklich
und fragt sich, was aus ihrem kleinen Jungen geworden ist? Vielleicht ist sie auch
wieder zurück in Polen. Konrad stellt fest, dass er keine Ahnung hat, aus welcher
Stadt in Polen Agnes kommt.
Aber es muss doch irgendeinen Hinweis
geben. Dann ruft er Palander an.
Nach fünfmaligem Klingeln hört er am
anderen Ende der Leitung ein undefinierbares Grummeln. Konrad kommt direkt zur Sache.
«Sie sagten, Sie hätten im Zeitungsarchiv
nachgesehen, was über Herman und Signe geschrieben steht?»
«Mm ...»
Ein schmatzendes Geräusch verrät, dass
Palander gerade dabei ist, ein frühes Mittagessen zu vertilgen. Konrad hört den
Redakteur etwas herunterschlucken.
«Ja, das stimmt.»
«Wie weit in die Vergangenheit erstreckt
sich denn das Archiv?»
«Ziemlich weit...»
«Bis zu der Zeit, in der meine Mutter
verschwunden ist?»
Es wird für eine Weile still.
«Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen»,
sagt Palander schließlich. «Die Sache ist die, dass ich selber bereits einige Nachforschungen
betrieben habe. Kommen Sie rüber, dann zeig ich Ihnen etwas.»
Z ehn Minuten
später reißt Konrad die Tür zur Lokalredaktion auf und stößt dabei um ein Haar
mit Solveig, Palanders Mitarbeiterin, zusammen. Sie wirft ihm einen vorwurfsvollen
Blick zu, bevor sie sich an ihm vorbeischiebt und auf die Straße hinaus verschwindet.
Palander sitzt bequem zurückgelehnt
in seinem Schreibtischstuhl, die Füße auf eine herausgezogene Schublade gelegt
und den Tischventilator gerade mal zwei Meter von sich entfernt stehend. Er macht
dermaßen Wind, dass Palanders ansonsten steifer Schnauzbart im Luftzug flattert.
Sein geblümtes Hawaiihemd ist bis zur Brust aufgeknöpft. Sie ist genauso unbehaart
wie sein Schädel. Vor ihm liegen die Reste eines Hamburgers. Er knüllt die Verpackung
zusammen und wirft sie in den Papierkorb.
«Ich wollte Sie heute auch schon anrufen»,
sagt er und nimmt die Füße herunter.
«Wie geht es mit den Mordermittlungen
voran?», fragt Konrad und setzt sich auf den Besucherstuhl mit dem verschlissenen
Bezug.
Ihm fällt ein, dass er in den beiden
vergangenen Tagen nicht einmal einen Blick in die Zeitung geworfen hat. Geschweige
denn Nachrichten gesehen oder gehört hat.
«Es scheint, als ob die Polizei ein
wenig auf der Stelle tritt. Oder aber es gelingt ihnen, nichts nach draußen sickern
zu lassen. Und die überregionale Presse hat das Interesse verloren. Das merken
Sie ja bestimmt auch im Hotel, wo es inzwischen wahrscheinlich wieder so leer ist
wie immer, oder? Manchmal ruft jemand aus Malmö oder Stockholm an und fragt, ob
ich etwas Neues gehört hätte. Hab ich natürlich nicht.»
Er hält kurz inne, aber nicht lange
genug, dass Konrad seine Frage formulieren könnte.
«Sie fragen sich natürlich, ob Sie
noch immer
sind?»
«So ungefähr ...»
«Nach meinen Quellen sind Sie es leider
noch. Sie und Klas Jönsson. Sie können davon ausgehen, dass man Sie beide genau
unter die Lupe nimmt. Ich persönlich glaube zwar nicht, dass sie etwas Konkretes
haben. Aber Björn Bernhardsson ist ein Iltis. Beißt sich fest wie der Teufel und
lässt nicht wieder los.»
Palander seufzt tief und macht einen
bekümmerten Eindruck.
«Sie untersuchen natürlich, ob es einen
Zusammenhang mit der Schießerei in Onslunda gibt. Das gehört zur Routine.»
«Nichts Neues im Hinblick auf die Albaner?»
«Ich bin draußen in der Gegend gewesen,
wo sie wohnten, und hab versucht, mit den Leuten zu reden. Aber die sind misstrauisch.
Sagen nicht viel. Die Jungs, denen Torstensson die Schädel weggeblasen hat, besaßen,
wenn es nach ihnen geht, natürlich absolut weiße Westen. Und Torstensson müsste
auf der Stelle gehängt werden. Sie sind ziemlich wütend, Sie haben es